WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Klinisches Symposium<br />
entenanwaltschaft und Gericht gemeldet werden müssen<br />
und auch überprüft werden. Dies betrifft ca. 25 % der untergebrachten<br />
Patienten, also jeden Vierten von ihnen bzw.<br />
jeden Vierzigsten von allen psychiatrischen Aufnahmen:<br />
••<br />
medikamentöse Zwangsbehandlung,<br />
••<br />
körperliche Beschränkung (Fixierung etc.),<br />
••<br />
sonstige Beschränkungen wie Abnahme von Handy, Privatkleidung<br />
etc.<br />
Bei all diesen Beschränkungen ist immer darauf zu achten,<br />
das jeweils gelindeste Mittel zur Gefahrenabwehr zu<br />
finden bzw. dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu folgen!<br />
Die Patientenanwaltschaft hat das Recht, jede einzelne<br />
dieser Beschränkungen überprüfen zu lassen <strong>–</strong> also dem Gericht<br />
zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen.<br />
Ausübung von Zwang nur in der<br />
Akutpsychiatrie?<br />
Natürlich gibt es auch in Heimen, Wohngemeinschaften<br />
<strong>–</strong> auch in Familien von psychisch Kranken <strong>–</strong> und auch<br />
auf somatischen Abteilungen (Intensivstation!) nur allzu oft<br />
Ausübung von Zwang gegenüber psychisch kranken oder<br />
geistig behinderten Personen. Dies sollte für die Psychiatrie<br />
aber weniger Anlass zur Schadenfreude sein („Siehst du, nicht<br />
nur wir…“), sondern Anlass für ein Angebot: Für die meisten<br />
jener PatientInnen, die „draußen“ Zwangsmaßnahmen unterliegen,<br />
musste die Psychiatrie in den letzten zwanzig Jahren<br />
sowohl durch den gesellschaftlichen Druck und die juristische<br />
Kontrolle als auch durch eine erhöhte Eigen-Anforderung<br />
durch Bewusstseinsentwicklung eine komplexe „Kultur der<br />
Überredung“ zum Erreichen von Freiwilligkeit erarbeiten.<br />
Dieses mühsam erworbene Know how können wir jetzt teilweise<br />
für die Weiterbildung z. B. von Pflegepersonal in den<br />
Pensionisten-Heimen zur Verfügung stellen!<br />
Haltung braucht Handwerk<br />
Für das Ziel einer möglichst weitgehenden Vermeidung<br />
von Freiheitseinschränkungen im stationären Bereich bedarf<br />
es sowohl einer therapeutisch-deeskalierenden Grundhaltung<br />
des gesamten Teams, als auch einer Handlungs-Kompetenz<br />
für Extremsituationen. Bei jeder Einzelfallentscheidung spielt<br />
auch die Prioritäten-Skala einer Abteilung (speziell im Nachtdienst)<br />
eine Rolle: Geht es primär um Aufrechterhaltung von<br />
„Ruhe und Ordnung“, oder aber um einen möglichst schonenden<br />
Umgang auch mit gespannten, aggressiven und daher<br />
„aufwendigen“ PatientInnen? Sie erinnern sich: „Salus suprema<br />
lex“ vs. „Voluntas suprema lex“?<br />
Speziell für jüngere AssistentInnen kann die Forderung<br />
nach permanenter Deeskalation auch zur Überforderung<br />
werden, wenn ihnen nicht durch konsequente Ausbildung<br />
ein „Handwerkszeug“ zur Implementierung einer solchen<br />
Haltung mitgegeben wird. („Haltung braucht Handwerk!“)<br />
In meiner Tätigkeit als Supervisor vieler sozialpsychiatrischer<br />
Teams habe ich in den letzten zwanzig Jahren die resignierte<br />
Feststellung gehört: „Die Letzten beißen die Hunde.“<br />
Manchmal kommt es bei gestiegenen Anforderungen bezüglich<br />
gewaltfreier Behandlung ohne aliquote Steigerung der<br />
Ressourcen und Kompetenzen zu einer Atmosphäre von<br />
Verunsicherung und Angst: Dann steht schlimmstenfalls ein<br />
überforderter junger Assistenzarzt nachts einem angstüberfluteten<br />
und daher aggressivem psychotischen Patienten gegenüber<br />
<strong>–</strong> eine hochexplosive Mischung!<br />
Beim rationalen und humanen Umgang mit Zwang und<br />
schlimmstenfalls Gewalt können wir uns weit weniger als<br />
zum Beispiel bei Fragen der medikamentösen Einstellung<br />
und Dosierung auf Evidenz basierte Erkenntnisse stützen.<br />
Daher überwiegen oft lokal tradierte Abläufe, oft auch Lernen<br />
am Beispiel <strong>–</strong> manchmal auch am schlechten Beispiel…<br />
In Workshops zum Thema beklagten die AssistentInnen<br />
oft, dass die Durchführung von Zwangsmaßnahmen ein für<br />
sie zentraler und oft belastender Teil ihrer ärztlichen Tätigkeit<br />
sei <strong>–</strong> dass ein kompetenter Umgang mit solchen Situationen in<br />
der Ausbildung aber keine entsprechend wichtige Rolle spielt.<br />
Bei der Ausarbeitung von SOP (Standard Operating Procedures)<br />
sollten auch „selbstgestrickte“ Handlungsvorgaben<br />
fachliche und ethische Standards beachten:<br />
1. Möglichst klare Abläufe inklusive Festlegung von Anordnungskompetenzen<br />
und Durchführungskompetenzen<br />
können dabei hilfreich sein: Also möglichst eindeutige<br />
Klärung der Abläufe im Sinne von „WER macht WANN<br />
WAS“? Auch für die möglichst schonende Durchführung<br />
von unabwendbar gewordenen Zwangsmaßnahmen gibt<br />
es „Standard-Situationen“, die dementsprechend auch<br />
trainiert werden können.<br />
2. Absolut kontraproduktiv ist ein erschöpft-beschämtes<br />
Schweigen „danach“: Neben der Dokumentation ist De-<br />
Briefing absolut notwendig!<br />
Die an einer Zwangsmaßnahme beteiligten MitarbeiterInnen<br />
sollten auf zwei Ebenen „nachbetreut“ werden (im<br />
Idealfall von einem unbeteiligten Dritten, z. B. einem Oberarzt<br />
der Abteilung):<br />
a) möglichst bald nach dem Ereignis eine erste Gesprächsrunde<br />
mit Schwerpunkt auf Umgang mit den<br />
meist intensiven Gegenübertragungs-Emotionen (Wut,<br />
Scham, Schuldgefühle etc.) sowie<br />
b) mit deutlicherem zeitlichem Abstand eine weitere Gesprächsmöglichkeit<br />
mit analytisch-strukturellem Schwerpunkt<br />
in Richtung „Prophylaxe“: War der Vorfall eventuell<br />
vermeidbar? Wenn ja, wodurch bzw. durch wen? Wie<br />
wären vergleichbare Vorfälle in Zukunft zu verhindern?<br />
Können wir „Soll-Bruchstellen“ herausarbeiten wie typische<br />
Orte oder Zeitpunkte von Eskalation? (Beispiele<br />
wären als Zeitpunkte die Dienstübergabe, als Orte die Stationstür<br />
bzw. die Tür zum Personal-Zimmer etc.)<br />
Unabhängig davon sollte man zumindest versuchen, nach<br />
Deeskalation bzw. Abklingen der akuten Krise die Zwangs-<br />
60 EXISTENZANALYSE 29/2/2012