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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Klinisches Symposium<br />

Gesetzesverstoß. Daher bleibt die psychiatrische Tätigkeit<br />

im Spannungsfeld zwischen Ordnungsfunktion und therapeutischer<br />

Funktion [„doppeltes Mandat“].<br />

sie heute primär Staatsbürger, die damit auch zur Einhaltung<br />

bestehender Gesetze verpflichtet sind <strong>–</strong> insbesondere des<br />

Unterbringungsgesetzes.<br />

Akutpsychiatrie: Aufnahmeverpflichtung<br />

In besonders hohem Maße betrifft dies die „Akutpsychiatrie“:<br />

Bei akutpsychiatrischen Abteilungen handelt es sich<br />

um Spitalsabteilungen mit „Pflichtversorgung“ bzw. „Aufnahmeverpflichtung“<br />

für alle PatientInnen aus einem bestimmten<br />

geographisch umschriebenen Einzugsgebiet. Das<br />

bedeutet, dass eben auch jene PatientInnen zur Aufnahme<br />

gebracht werden (manchmal eben unfreiwillig), die selbst<br />

nicht der Meinung sind, krank zu sein oder eine psychiatrische<br />

Behandlung zu brauchen. Dies betrifft oft depressivsuizidale,<br />

aber auch psychotische, persönlichkeitsgestörte<br />

und in zunehmender Zahl auch demente PatientInnen. So sind<br />

z. B. an unserer Abteilung sicher mindestens 25 % der PatientInnen,<br />

die wir pro Jahr aufnehmen, zumindest während einiger<br />

Tage des Aufenthaltes <strong>–</strong> meist zu Beginn <strong>–</strong> akut suizidal:<br />

Das sind in Hollabrunn dann immerhin 350 Menschen pro<br />

Jahr! Viele von ihnen wollen nicht bzw. nicht in der Psychiatrie<br />

bzw. auch nicht mit Psychotherapie behandelt werden <strong>–</strong><br />

müssen schlimmstenfalls gegen ihren Willen bei uns bleiben.<br />

Es ist eine der schwierigsten Aufgaben für psychiatrisch<br />

Tätige an diesen Abteilungen, das Vertrauen eben dieser<br />

Menschen soweit zu gewinnen, dass sie sich ohne Anwendung<br />

von Zwang an der Abteilung behandeln lassen! Die<br />

meisten von Ihnen kennen die Grundsätze dieses Gewinnens<br />

von Vertrauen: „Verhandeln statt behandeln“ bzw. das Finden<br />

gemeinsamer Zielsymptome etc. etc.<br />

Für jene PsychotherapeutInnen, die niemals an einer<br />

akutpsychiatrischen Abteilung gearbeitet haben, ist die Bewertung<br />

dieser problematischen Behandlungen oft schwierig<br />

und gibt Anlass zu globalen Wertungen und Entwertungen<br />

im Sinne von „Niederspritzen“ oder „die können ja<br />

nichts anderes als…“ (auch Entwertungen in Gegenrichtung<br />

möglich). Daher finden Sie im Folgenden einige Versuche<br />

zur Beschreibung dieser Behandlungsrealität an der Akutpsychiatrie<br />

und unserer Gefühle dabei.<br />

Unsere klinische Praxis vollzieht sich immer im Schatten<br />

des „doppelten Mandats“ der Psychiatrie: Dem therapeutischen<br />

Auftrag zur Behandlung und Heilung steht der<br />

gesellschaftliche Kontroll-Auftrag gegenüber! Die Spannung<br />

zwischen diesen beiden Polen erleben PsychiaterInnen<br />

in den letzten Jahrzehnten dadurch intensiver, dass dem<br />

gleichbleibenden gesellschaftlichen Anspruch auf Kontrolle<br />

potentiell gefährlicher/gefährdender Kranker ein massiv<br />

gesteigerter Anspruch in Richtung „schonende“ Therapie<br />

gegenüber steht: Im Idealfall sollten wir also immer mehr<br />

PatientInnen in immer kürzerer Zeit <strong>–</strong> und natürlich ohne<br />

Einschränkung ihrer Freiheitsrechte <strong>–</strong> behandeln. Während<br />

früher den PsychiaterInnen im Sinne eines „besonderen<br />

Gewaltverhältnisses“ ein Teil des staatlichen Gewalt-Monopols<br />

übertragen wurde <strong>–</strong> sie durften also Freiheiten von<br />

Menschen beschränken (wie sonst nur die Polizei) <strong>–</strong> sind<br />

Die juristische Ebene:<br />

Das Unterbringungsgesetz (UbG)<br />

Das Bundesgesetz über die Unterbringung psychisch<br />

Kranker in Krankenanstalten (im Jargon UbG) ist seit Anfang<br />

1991 in Kraft. Davor gab es noch eine aus der K.u.K Monarchie<br />

stammende „Anhalteordnung“ (Stichwort: „Parere“).<br />

Erst durch das UbG besteht eine ziemlich eindeutige<br />

Regelung bezüglich Berechtigung der Psychiatrie zur Freiheitseinschränkung<br />

(vorher erhebliche „Grauzone“ bzw. Erstreckung<br />

der gesetzlichen Vorschriften sowohl seitens der<br />

Psychiatrie als auch seitens der kontrollierenden Justiz).<br />

In den letzten Jahrzehnten vollzog sich ein eindeutiger<br />

Wandel bezüglich der juristischen Prioritäten (am deutlichsten<br />

im UbG, jedoch auch im Sachwalterschaftsgesetz und<br />

Heimaufenthaltsgesetz deutlich):<br />

Vom früheren „Salus suprema lex“ zum<br />

heutigen „Voluntas suprema lex“!<br />

Dies ist nur der juristische Reflex einer geänderten Einstellung<br />

der Allgemeinbevölkerung: Im Zuge eines allgemeinen<br />

potentiellen Misstrauens gegenüber Autoritäten/Experten<br />

hat der „Vertrauensvorschuss“ gegenüber Entscheidungen der<br />

ÄrztInnen deutlich nachgelassen (was die Psychiatrie als weniger<br />

angesehene Fachrichtung zuerst merkte, dzt. aber auch<br />

durchaus schon für somatische Fächer relevant ist…).<br />

Einweisung nach UbG: geregelt durch § 8<br />

und § 9 des UbG<br />

••<br />

Berechtigt zur Einweisung nach § 8 UbG (bei vorliegenden<br />

Unterbringungs-Voraussetzungen) sind ÄrztInnen<br />

im öffentlichen Dienst (AmtsärztInnen, GemeindeärztInnen<br />

etc.).<br />

••<br />

Nicht berechtigt zur Einweisung nach § 8 UbG sind<br />

Fachärzte für Psychiatrie, Spitalsärzte (kein „Spitalsparere“<br />

mehr).<br />

••<br />

Bei „Gefahr in Verzug“ nach § 9 UbG ist auch die Exekutive<br />

(Polizei) berechtigt zur Einweisung bzw. Vorstellung<br />

an psychiatrischer Abteilung (oft am Wochenende<br />

und in den Nachtstunden wegen Unerreichbarkeit eines<br />

Arztes für § 8-Bescheinigung).<br />

••<br />

Verantwortung bezüglich § 8 oder § 9 besteht nur für die<br />

Zuweisung bzw. Vorstellung an der Abteilung.<br />

Unterbringung nach dem UbG <strong>–</strong> geregelt<br />

durch § 3 des UbG<br />

Das „Zeugnis“ nach § 3 UbG berechtigt zur „Unterbringung“<br />

eines Patienten, d. h. zur Festlegung seiner/ihrer<br />

zwangsweisen Aufnahme an einer psychiatrischen Abtei-<br />

58 EXISTENZANALYSE 29/2/2012

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