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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Plenarvortrag<br />

Wollen als inneres Moment von Vollzügen<br />

Der zweite methodische Hinweis: Wollen bildet keinen eigenen<br />

Handlungstyp, ist kein Vollzug neben anderen Vollzügen<br />

auch noch, sondern ein inneres Moment unserer Vollzüge.<br />

Das zeigt sich u.a. daran, daß das Wollen selbst nicht gewollt<br />

werden kann. Wir wollen z.B. spazieren gehen oder uns unterhalten,<br />

ein Fest feiern oder einfach faulenzen. Spazierengehen,<br />

Sich-unterhalten, Feiern, Faulenzen sind bestimmte<br />

Typen menschlichen Weltbezugs. Es ist aber nicht so, daß<br />

neben Spazierengehen, Faulenzen etc. auch noch das Wollen<br />

vorkommt. Das Wollen selbst ist nichts Gewolltes, nichts direkt<br />

Intendierbares und Wählbares. Wir streben nicht um zu<br />

streben, sondern wir erstreben etwas. Menschliche Vollzüge<br />

unterscheiden sich durch ihr Gewolltes. Das Wollen selbst ist<br />

jedoch keine inhaltliche Bestimmung von Vollzügen, vielmehr<br />

ist „Wollen“ der Name für die innere Dynamik, für die<br />

Bewegtheit unserer Vollzüge. „Wollen“ bezeichnet nicht ein<br />

Was, sondern ein Wie menschlicher Vollzüge. Das Wollen ist<br />

eine Weise, wie wir uns zur Aufgabe unseres Daseins verhalten.<br />

Wir tun etwas freiwillig oder unfreiwillig, wir handeln<br />

aus Überlegung oder unwillkürlich, ohne viel zu überlegen. 2<br />

Die Eigentümlichkeit, nicht einen speziellen Handlungstyp<br />

zu verkörpern, teilt übrigens das Wollen <strong>–</strong> das sei nur nebenbei<br />

angemerkt <strong>–</strong> mit dem Geistvollzug, dem Erschlossensein dessen,<br />

was ist (Seinsverstehen). Wir bemerken dieses oder jenes,<br />

wir hören, wie jemand etwas für uns Unverständliches spricht,<br />

wir fragen nach diesem oder jenem, bemühen uns um Erkenntnis.<br />

Es ist aber nicht so, daß neben Fragen, Erkennen, Wahrnehmen,<br />

Hören auch noch die Seinserschlossenheit (traditionell als<br />

intelligere, als Geistvollzug bezeichnet) vorkommt. Vielmehr<br />

bildet dieses den Grundzug menschlicher Vollzüge.<br />

Der Vollzugscharakter des Wollens<br />

Dritter methodischer Hinweis. Wollen heißt nicht: Vollzüge<br />

verursachen. Wenn ich z.B. etwas wissen will, dann verursache<br />

ich nicht mein Fragen. Mein Wille ist nicht die Ursache<br />

dafür, daß ich etwas tue oder unterlasse oder dieses gegenüber<br />

jenem bevorzuge. Vollzüge sind keine Wirkungen einer Willensursache.<br />

Wer so denkt, lebt in einer Subjektvergessenheit.<br />

Ich vollziehe mich selbst, indem ich etwas will. Als Urheber<br />

meiner Vollzüge bin ich einer, der nicht nur etwas anfangen<br />

kann, sondern einer, der seiner selbst als eines Anfangenden<br />

mächtig ist. Sich selbst vollziehen heißt nicht, Vollzüge produzieren.<br />

Indem ich etwas will, lasse ich mich vom Gewollten<br />

bestimmen, ich will mich als einen solchen. Es ist dies eine<br />

Form des Ja-Sagens zu sich. Zwischen Wollen und Sich-<br />

Vollziehen herrscht auch kein zeitliches Hintereinander. Nicht<br />

will ich zuerst etwas und dann folgt mein Vollzug. 3 So wenig<br />

wie Wollen meine Vollzüge verursacht, so wenig steht es bloß<br />

an deren Beginn. Es durchherrscht und durchstimmt vielmehr<br />

in unterschiedlichem Ausmaß unsere Vollzüge. Deshalb reden<br />

wir von willensstarken oder willensschwachen Menschen.<br />

Stärke und Schwäche bemißt sich nicht an so etwas wie einer<br />

Willensenergie, sondern daran, in welchem Maß sich jemand<br />

von dem, was er als für ihn real möglich und auch als gut<br />

wahrgenommen hat, in Anspruch nehmen läßt <strong>–</strong> und auch<br />

daran, in welchem Maß er für die Verwirklichung des Guten<br />

Nachteile in Kauf zu nehmen bereit ist.<br />

Wollen als Sich-Verhalten zur Grund<strong>–</strong><br />

dynamik unseres Daseins<br />

Angesprochensein als Anfang des Wollens<br />

Diese drei methodischen Hinweise zusammenfassend und<br />

gleichzeitig vorblickend auf noch zu Erörterndes läßt sich sagen:<br />

Wollen ist eine Weise, sich zur Grunddynamik unseres<br />

Daseins zu verhalten. Indem wir dieses oder jenes wollen, entsprechen<br />

wir einer Dynamik, die unser ganzes Miteinandersein<br />

bestimmt und aller Zwecksetzung voraus- und zugrunde liegt.<br />

Achten wir nämlich genau auf unser Wollen, dann zeigt sich:<br />

Das Wollen geht nicht von einem Ich-Pol aus. Am Anfang des<br />

Wollens steht nicht ein als Aktzentrum vorgestelltes Ich-Subjekt,<br />

sondern ein responsorischer Bezug: Etwas spricht mich<br />

(so oder so) an. Etwas spricht mich an, und es spricht mich an.<br />

Wenn wir etwas wollen, setzen wir uns nicht erst in Beziehung<br />

zum Gegenstand unserer Wahl, sondern wir nehmen<br />

zu ihm Stellung. Wollen ist nicht eine Beziehungsaufnahme,<br />

sondern eine Form der Stellungnahme zu etwas. Wollen<br />

heißt nicht, aus einer ursprünglichen Indifferenz oder<br />

Indeterminiertheit heraustreten, Indeterminiertheit in Determiniertheit<br />

verwandeln <strong>–</strong> sich selbst bestimmen. Solch ein<br />

Begriff von Selbstbestimmung ist eine Konstruktion, die an<br />

der konkreten Freiheit völlig vorbei geht. 4<br />

Das Ansprechende<br />

Das Ansprechende kann vielerlei sein: ein Ding, in dessen<br />

Besitz ich sein möchte, eine Landschaft, die mich einlädt, sie<br />

zu erkunden, eine Problemkonstellation, deren Lösung mich<br />

reizt, ein Mensch, dem ich näher kommen möchte. Auch leibhaftig<br />

Abwesendes kann mich in seiner bedrängenden Abwesenheit,<br />

die ja ein Modus von Anwesenheit ist, ansprechen.<br />

Das Erste ist nicht, daß ich von mir aus tätig werde, nicht ich<br />

selbst fange an, sondern mit mir ist etwas angefangen worden.<br />

Ich entdecke mich als einen, der so oder so angesprochen<br />

ist. Wir sind in allen Belangen die primär Angesprochenen.<br />

Andere haben uns längst angesprochen, bevor wir noch zu<br />

2<br />

Vgl. die diesbezüglichen aristotelischen Analysen in der Nikomachischen Ethik (Nik. Eth. III, 1 ff).<br />

3<br />

Insofern ist die oft anzutreffende Rede unzutreffend, auf den Willensentschluß folge die Ausführung. Indem ich eine Handlung ausführe, will ich sie<br />

ausführen. Die Ausführung ist eine willentliche, nicht aber eine, die den Willen hinter sich gelassen hätte.<br />

4<br />

Wird Freiheit mit solch einem Begriff von Selbstbestimmung gleichgesetzt, ruft das zu Recht die Kritik von Neurowissenschaftlern hervor. Völlig<br />

zu Unrecht erfolgt allerdings die Berufung auf empirische Befunde. Empirische Befunde können niemals die kritische Letztinstanz bilden, weil jedes<br />

neurowissenschaftliche Experiment bereits von einem Vorbegriff von Freiheit geleitet wird. Gegenstand der Debatte können nicht neurowissenschaftliche<br />

Experimente, sondern müssen die jeweils mitgebrachten Freiheitsbegriffe sein, die den Experimenten zugrundeliegen. Über die sachliche Angemessenheit<br />

eines Freiheitsbegriffs entscheidet nicht ein neurowissenschaftliches Experiment, sondern die gemeinsame Lebenspraxis.<br />

EXISTENZANALYSE 29/2/2012 5

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