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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Buchbesprechung<br />

möglicht (Dell 2001).<br />

Ursula Gast und Frauke Rodewald referieren in ihrem<br />

Artikel zur „Prävalenz dissoziativer Störungen“ Studien zu<br />

diesem Thema, insbesondere zur Dissoziativen Identitätsstörung<br />

in der Allgemeinbevölkerung sowie bei Psychiatriepatienten.<br />

Ellert Nijenhuis, Onno van der Hart, Kathy Steele und<br />

Helga Mettheß schließen den ersten Teil des Buches mit<br />

einem Beitrag zur „Strukturellen Dissoziation der Persönlichkeitsstruktur,<br />

traumatischer Ursprung, phobische Residuen“<br />

ab.<br />

Die Autoren gehen von der schon seit Janet 1889 beschriebenen<br />

Beobachtung aus, dass viele traumatisierte<br />

Menschen zwischen dem Wiedererleben der traumatischen<br />

Situation (Intrusionen) und einem Losgelöstsein bzw. relativen<br />

Unbewusstsein des Traumas und der dazugehörigen<br />

Effekte wechseln und sehen das als ein Charakteristikum der<br />

Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD), der Störung<br />

nach extremem Stress (DES) und auch häufig einer traumabezogenen<br />

dissoziativen Störung.<br />

Dieser auffallende Wechsel deutet darauf hin, dass ernsthafte<br />

Bedrohung eine strukturelle Dissoziation der prämorbiden<br />

Persönlichkeit als Gesamtsystem hervorrufen kann<br />

(van der Hart et al. 2006) <strong>–</strong> also eine „Teilung“ der Persönlichkeit<br />

des Individuums, d.h. des gesamten dynamischen,<br />

biopsychosozialen Systems, das die charakteristischen<br />

mentalen und verhaltensmäßigen Handlungen bestimmt.<br />

Die Autoren referieren nun, wie sich die „Aufteilung“ der<br />

Persönlichkeit phänomenologisch betrachtet zeigt, und legen<br />

ihr Hauptaugenmerk auf die Beschreibung der strukturellen<br />

Spaltung, die sie <strong>–</strong> zurückgehend auf Myers (1940) - als<br />

Aufteilung der Persönlichkeit in einen (oder auch mehrere)<br />

annähernd/anscheinend normal funktionierenden Persönlichkeitsanteil<br />

(ANP) und einen (mehrere) emotionalen Persönlichkeitsanteil<br />

(EP) sehen. (Der annähernd normal funktionierende<br />

Persönlichkeitsanteil ist verbunden mit der Vermeidung<br />

der traumatischen Erinnerung [Numbing] und daher mit einer<br />

teilweisen oder auch kompletten Amnesie für das Trauma,<br />

der EP ist in der traumatischen Erfahrung gefangen/eingeschlossen).<br />

Die Autoren gehen recht differenziert auf die Beschreibung<br />

von ANP und EP wie auch auf die Beschreibung<br />

der verschiedenen Schweregrade in der Spaltung der Persönlichkeit<br />

ein und führen dann die spezifischen Schritte der<br />

bei Traumatisierten gestörten Fähigkeit zur Differenzierung<br />

und Integration an. Ganz kurz und daher sehr übersichtlich<br />

werden die Ursachen und Auswirkungen mangelnder Integrationsfähigkeit<br />

aus neurobiologischer Sicht behandelt und<br />

Ergebnisse von Studien zur Dissoziation aus der Entwicklungsperspektive<br />

angeführt, die beschreiben, wie sich Traumatisierung<br />

bei Erwachsenen (Desintegration/Spaltung von<br />

zuvor relativ integrierten mentalen Systemen) und bei Kindern<br />

auswirkt (Auswirkungen, wenn der Prozess der Integration<br />

von mentalen Systemen noch gar nicht fertig ist, dadurch,<br />

dass die Hirngebiete Hippocampus und präfrontaler Kortex,<br />

die die großen integrativen Funktionen haben, noch nicht ausreichend<br />

ausgebildet sind und sich noch keine erfahrungsbezogenen<br />

(inneren) Schablonen entwickelt haben, die bei der<br />

Integration neuer und belastender Erfahrungen hilfreich sein<br />

können). Sie weisen wichtigerweise darauf hin, dass Dissoziation<br />

in der Kindheit eine normale Reaktion auf Stress ist.<br />

Die Ausführungen werden abgeschlossen mit den daraus<br />

folgenden Konsequenzen für die Therapie.<br />

Der Artikel gibt auf ca.15 Seiten einen umfassenden und<br />

informativen Überblick über die strukturelle Dissoziation<br />

mit zahlreichen Verweisen auf empirische Untersuchungen.<br />

Trotz der Dichte der Information ist der Artikel aufgrund<br />

seiner guten Strukturierung und verständlichen Sprache<br />

leicht zu lesen.<br />

Richard P. Kluft beschäftigt sich mit der „Behandlung<br />

der dissoziativen Identitätsstörung aus psychodynamischer<br />

Sicht“ (im Weiteren DIS).<br />

Er beginnt seine Ausführungen mit der gewiss für die<br />

schulenspezifische Betrachtung eines schulenübergreifenden<br />

Modells spannenden Frage: Was ist aus einer psychodynamischen/psychoanalytischen<br />

Sicht neu bzw. anders in<br />

der Behandlung der dissoziativen Störungen im Vergleich<br />

zu anderen Störungsbildern? Dabei geht er zuerst auf allgemeine,<br />

grundsätzliche Haltungen ein, wie z. B dass die<br />

Haltung vieler psychoanalytischer Therapeuten, die Missbrauchsberichte<br />

von PatientInnen als Fantasien ansahen, als<br />

zu enge Sicht erkannt wurde oder dass sich innerhalb der<br />

psychoanalytischen bzw. psychodynamischen Gemeinschaft<br />

das Interesse an dissoziativen Störungen nur relativ langsam<br />

entwickelte. Weiters geht er auf grundsätzliche theoretische<br />

Sichtweisen der DIS ein bzw. nimmt dazu Stellung. So meint<br />

er <strong>–</strong> sehr einleuchtend <strong>–</strong> dass die DIS mit einer einfachen<br />

psychodynamischen Erklärung nicht zu erfassen sei, v. a.<br />

weil es sich um eine extrem uneinheitliche Gruppe mit sehr<br />

unterschiedlichem Funktionsniveau der Gesamtpersönlichkeit<br />

wie auch der Teilpersönlichkeiten handelt. Dies versteht<br />

sich aufgrund des Zusammenwirkens von Trauma, Konflikt<br />

und Defizit. Daher scheint ihm eine Konzeptualisierung<br />

der Störung nur auf dem Hintergrund von Spaltung zu kurz<br />

gegriffen. Auch sind abgespaltene Persönlichkeitszustände<br />

weniger in Bezug aufeinander als unbewusst zu verstehen,<br />

als als Manifestationen parallel ablaufender Prozesse.<br />

Wichtig erscheint auch seine Stellungnahme zum Thema<br />

Widerstand, indem er ausführt, dass das Auftreten von<br />

Widerstand genauer betrachtet werden müsse, da es sich oft<br />

um ein Widerstreben handelt, das auf Scham oder innerer<br />

Strafandrohung basiert.<br />

Kluft stellt dann die Frage, inwieweit das gängige psychodynamische<br />

Konzept bzw. die Interventionen für die<br />

Behandlung der DIS (und der NNBDS) „taugen“ und ob<br />

Erkenntnisse und Methoden über dissoziative Störungen<br />

auf einen psychoanalytischen bzw. psychodynamischen<br />

Behandlungsrahmen übertragen werden können. Er wählt<br />

in seiner Vorgangsweise den Weg der Bestandsaufnahme<br />

innerhalb der eigenen Schule („was die psychodynamische<br />

Theorie ohnehin schon zu bieten hat“) und wie sie nun nach<br />

den traumatherapeutischen Erkenntnissen modifiziert bzw.<br />

methodisch erweitert werden kann.<br />

Er schickt diesen Überlegungen wiederum einige grundsätzliche<br />

voraus wie die Debatte um die Frage nach dem<br />

Einzelselbstmodell oder dem Multiplen Selbstmodell.<br />

DIS sollte nicht als eine Störung multipler Selbstzustände,<br />

sondern als ein Zustand, der innerhalb eines einzelnen<br />

Selbstsystems stattfindet, das Zugang zu mehreren stabilen<br />

114 EXISTENZANALYSE 29/2/2012

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