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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Klinisches Symposium<br />

lung. Berechtigt dazu sind ausschließlich FachärztInnen für<br />

Psychiatrie (und Psychotherapie) an den psychiatrischen<br />

Abteilungen.<br />

Untergebracht darf nur werden, wer:<br />

a) an einer psychischen Krankheit leidet;<br />

b) aufgrund dieser psychischen Erkrankung eine ernstliche<br />

und erhebliche Gefahr für sein eigenes Leben oder das<br />

Leben anderer Personen darstellt (Grundsatz der „Selbstund/oder<br />

Fremdgefährdung“);<br />

c) bei Bestehen der Voraussetzungen a) und b) nicht „subsidiär“<br />

behandelt werden kann. Unter subsidiär wäre hier<br />

jede „Nicht-Unterbringungs-Behandlung“ zu verstehen:<br />

Diese könnte ebenso eine ambulante Behandlung darstellen<br />

als auch eine freiwillige Aufnahme an der Abteilung!<br />

[Dies gelingt oft bei suizidalen PatientInnen.]<br />

Die Voraussetzungen a) + b) + c) müssen „kumulativ“<br />

vorliegen (das bedeutet, nur bei Vorliegen aller 3 Voraussetzungen<br />

darf ein Patient untergebracht werden)!<br />

Wer kontrolliert die PsychiaterInnen? Eine eigene Berufsgruppe,<br />

nämlich die PatientenanwältInnen (meistens JuristInnen,<br />

auch SozialarbeiterInnen oder PsychologInnen).<br />

Sie sind ausschließlich dazu da, die Freiheitsrechte aller<br />

(auch nicht untergebrachter) PatientInnen auf der Psychiatrie<br />

zu sichern bzw. die Einhaltung der Bestimmungen des<br />

UbG zu kontrollieren. (Sie sind natürlich unabhängig von<br />

der Psychiatrie, werden aus öffentlichen Mitteln <strong>–</strong> vom Justizministerium<br />

<strong>–</strong> bezahlt.)<br />

Wie lange gilt die Unterbringung? Maximal jeweils<br />

bis zur nächsten „Überprüfung“ seitens des Gerichts: Diese<br />

muss spätestens am 4. Tag nach einer Unterbringung<br />

stattfinden (im Rahmen einer „Erstanhörung“). Dabei wird<br />

über die „vorläufige Zulässigkeit“ der Unterbringung entschieden:<br />

Falls die Unterbringung vorläufig zulässig ist →<br />

„mündliche Verhandlung nach dem UbG“ spätestens 14 Tage<br />

nach Erstanhörungstermin und nach Einholung eines fachärztlichen<br />

Gutachtens. (Dieses wird von einem unabhängigen<br />

Psychiater sozusagen als „second opinion“ erstellt!)<br />

→ Erst bei dieser mündlichen Verhandlung wird eine „Unterbringungsfrist“<br />

ausgesprochen; im Schnitt 1 <strong>–</strong> 3 Wochen<br />

weitere maximale Unterbringungs-Dauer. Falls dies nicht<br />

ausreichen sollte → neuerliche Erstanhörung!<br />

Anwesend sind bei der Erstanhörung Patient, Richter, Patientenanwalt<br />

und Abteilungsleiter, bei der mündlichen Verhandlung<br />

kommt noch der Sachverständige/Gutachter dazu.<br />

Unfreiwillige Aufnahmen<br />

Das also ist der juristische Rahmen, an den sich psychiatrisch<br />

Tätige zu halten haben. Dieser „Rahmen“ passt<br />

weitgehend für den Umgang mit akut psychisch Kranken,<br />

Schwierigkeiten gibt es bei längerfristigen bzw. chronischen<br />

Verläufen (dazu später mehr). Im EU-Vergleich kontrolliert<br />

das österreichische Recht/UbG die psychiatrische Profession<br />

ziemlich scharf, die Patientenrechte werden deutlich<br />

stärker geschützt als in zahlreichen anderen EU-Staaten!<br />

Wie bei jedem Gesetz gibt es auch hier in der Anwendung<br />

des Gesetzes sehr große regionale Schwankungen <strong>–</strong> je nach<br />

herrschender „Rechtskultur“ und natürlich auch je nach den<br />

handelnden Personen <strong>–</strong> seien es nun PatientenanwältInnen,<br />

RichterInnen oder PsychiaterInnen.<br />

Im Gegensatz zu früher muss heute ja nur eine Minderheit<br />

von PatientInnen gegen ihren Willen an der psychiatrischen<br />

Abteilung bleiben: An unserer Abteilung sind<br />

das ca. 10 % aller Aufnahmen, gesamtösterreichisch liegt<br />

der Durchschnitt zwischen 10 und 20% <strong>–</strong> was im Umkehrschluss<br />

bedeutet, dass fast 90% der PatientInnen sich<br />

freiwillig an psychiatrischen Abteilungen behandeln lassen!<br />

Zu Beginn meiner psychiatrischen Tätigkeit anno 1981 war<br />

es fast genau umgekehrt <strong>–</strong> damals waren es 80% „unfreiwillig“<br />

aufgenommene PatientInnen. Natürlich gibt es starke<br />

Schwankungen zwischen den verschiedenen Standorten der<br />

Psychiatrie <strong>–</strong> wobei praktisch alle „neuen“ psychiatrischen<br />

Abteilungen am allgemein-öffentlichen Krankenhaus eben<br />

zwischen 10 und 15% liegen, einige wenige „alte“ psychiatrische<br />

Krankenhäuser allerdings bis zu 50% unfreiwillige<br />

Aufnahmen aufweisen.<br />

Die Prozentzahlen der untergebrachten PatientInnen differieren<br />

also je nach „Behandlungskontext“ deutlich. Für<br />

alle Standorte <strong>–</strong> sicher nicht nur in Österreich <strong>–</strong> aber gilt,<br />

dass der Umgang mit unfreiwillig aufgenommenen PatientInnen<br />

sich im Spannungsbogen zwischen der Utopie einer<br />

gewaltfreien Psychiatrie und der Realität des alltäglichen<br />

„Aushandelns“ abspielt:<br />

Deshalb seien hier zwei thesenhafte Zuspitzungen zur<br />

Verdeutlichung der Kluft zwischen utopischem Anspruch<br />

und klinischer Praxis jeder Versorgungs-Psychiatrie angebracht:<br />

••<br />

Utopische Forderung: Jede psychiatrische Abteilung<br />

sollte immer und bei der Behandlung aller PatientInnen<br />

versuchen, ohne Zwang und Gewalt auszukommen.<br />

••<br />

Klinische Realität: Keine Vollversorgungs-Psychiatrie wird<br />

immer und bei allen PatientInnen in der Behandlung ohne<br />

Beschränkungen und Zwang auskommen können.<br />

Die Differenz zwischen diesem Anforderungs-Pol (unserem<br />

„Ich-Ideal“) und der klinischen Realität ist in den<br />

letzten Jahrzehnten zwar sicher kleiner geworden, bleibt<br />

aber beträchtlich.<br />

Von welchen Zwangs-Maßnahmen sprechen<br />

wir? Formale Kriterien<br />

Zwang wird ausgeübt durch:<br />

a) Unterbringung (Patient darf nicht heimgehen, wann er<br />

will),<br />

b) über die Unterbringung hinausgehend dann noch „zusätzliche<br />

Beschränkungen“, die jeweils einzeln an Pati-<br />

EXISTENZANALYSE 29/2/2012 59

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