WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Symposium: Pädagogik<br />
Existenzanalytische Überlegungen für eine<br />
personal ausgerichtete Unterrichtsgestaltung<br />
Hans-Jürgen Strauch<br />
Eine sinnorientierte Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand<br />
erfordert Räume, in denen ein innerer Dialog stattfinden<br />
kann, und die Chance, das erspürte Eigene im Umgang mit<br />
dem Unterrichtsthema in den Dialog zu bringen. Dazu bietet<br />
Unterricht, in dem eine emotionale Berührung über den Unterrichtsgegenstand<br />
eröffnet sowie ein „Tätig Werden“ möglich<br />
werden, eine gute Grundlage. Hier kann der eigene Wille der<br />
Person sich konkretisieren.<br />
Die Lehrperson selbst ist um der existentiell ausgerichteten<br />
Erziehung willen gefordert, diese Phasen des „Loslassens“ als<br />
Fundament eines am Wollen der Schüler orientierten Unterrichts<br />
auszuhalten.<br />
Schlüsselwörter: emotionales Berühren, existentieller<br />
Unterricht, Werte<br />
Reflections on lesson organizations that focus on the<br />
person on the basis of existential analysis<br />
A discussion of the lessons topic that is focused on meaning requires<br />
a space where the inner dialogue of the students can<br />
take place in a way that the student can realize and feel his<br />
/ her own dealing with the subject of the lesson and share this<br />
discovery in the class. This is possible in classes where the student<br />
can come into an emotional contact with the topic and where<br />
it is possible to take action in relation to the topic of the lesson.<br />
Here the will of every individual person can take shape. To realize<br />
such an education based on these existential objectives,<br />
the teacher must accept these phases of “letting go” as fundamental<br />
for classes that are focused on what the students want.<br />
Keywords: affection, existential lessons, values<br />
Hinführung<br />
Die Beschäftigung mit dem Thema bezieht sich aufgrund<br />
der zugrunde gelegten praktischen Erfahrungen schwerpunktmäßig<br />
auf die Schulformen im Sekundarbereich II einer Berufsbildenden<br />
Schule. Dennoch sind die in diesem Bereich<br />
gemachten Erfahrungen übertragbar auf die übrigen Schulformen<br />
bzw. -stufen. Unterricht fokussiert traditionell vornehmlich<br />
auf Fachkompetenzen (Strauch 2008, 15-37), die<br />
als Auseinandersetzung mit den Werten der Schüler in den<br />
geforderten Sozial- und Humankompetenzen als Schlüsselkompetenzen<br />
Berücksichtigung finden. Dennoch wird ein<br />
existentiell ansprechender Unterricht nicht erreicht, wenn<br />
nicht die Person des Schülers ganzheitlich in das Unterrichtsgeschehen<br />
einbezogen werden soll.<br />
Jugendliche Schüler, die in der Schule Abschlüsse erwerben<br />
wollen, sind in einer Übergangsphase, die mit einer<br />
umfangreichen Auseinandersetzung mit eigenen Werten einhergeht.<br />
Werte selbst dienen als energetische Basis für den<br />
eigenen Willen (Frankl 1983), der durch diese erst aktiviert<br />
werden kann.<br />
Eine Verlagerung des Blickwinkels auf die Person des<br />
Schülers hin macht es notwendig, weniger von dem anonymisierenden<br />
Begriff Unterricht, der die Planungen und Sicht<br />
des Pädagogen einseitig auf die Gesamtklasse richtet, sondern<br />
von Lernen oder Lernprozessen zu sprechen, da damit die<br />
Person des Schülers stärker ins Blickfeld gerät. Entsprechend<br />
ist dann auch die Frage möglich, inwiefern aus den Werten<br />
eines jeden Schülers im Unterrichtsprozess Wollen aktiviert<br />
werden kann.<br />
Die Übergangssituation der Jugendlichen, die sich auch in<br />
ihrem schulischen Verhalten widerspiegelt, wohnt etwas Verunsicherndes<br />
inne. So ist es die Kernaufgabe der Schulseelsorge<br />
an Berufsbildenden Schulen in einigen Bundesländern<br />
Deutschlands, dass die Schüler als Person angenommen werden,<br />
um sie zu einer Selbstannahme (Strauch 2008, 258-284;<br />
Längle 2010, 29-64) zu führen. Diese Selbstannahme ist in<br />
der personalen Existenzanalyse ein existentieller personaler<br />
Akt, um in die eigene Freiheit zu gelangen.<br />
Grundlage der weiteren Überlegungen ist die Frage, inwiefern<br />
die drei Säulen existentiellen Lebens, freies Erleben,<br />
authentische Stellungnahme und verantwortliches Handeln,<br />
Konsequenzen für eine existentielle Pädagogik und Erziehung<br />
haben.<br />
Sind die Werte der Schüler wesentlich für das gesamte<br />
Unterrichtsgeschehen, so kann eine sinnorientierte Auseinandersetzung<br />
mit dem Lerngegenstand nicht außer Acht gelassen<br />
werden. Diese Auseinandersetzung erfordert während des<br />
Unterrichts einen personalen Austausch und Entwicklungsmöglichkeiten<br />
für jeden Einzelnen (Längle 2009a, 76-89) der<br />
am Lernprozess beteiligten.<br />
Wenn die Rahmenbedingungen eines existentiell ausgerichteten<br />
Unterrichts durch unterschiedliche didaktische<br />
Konzepte, wie zum Beispiel Handlungsorientierung (Markert<br />
2007), themenzentrierte Interaktion (Sammet 2004), systemische<br />
Ansätze und interaktionistischer Konstruktivismus<br />
(Reich 2005), bereits als Teilaspekte ohne die explizite Begründung<br />
aus der Existenzanalyse bekannt sind, so verwundert<br />
es, dass diese Ansätze nicht aus sich heraus den Schüler<br />
als Person stärker in den Blick nehmen und das Unterrichtsgeschehen<br />
um existentielle Elemente bereichern.<br />
Wird allerdings die theoretische Ausgangslage alleine einbezogen,<br />
die eine personale Sicht von Schülern auf Grundlage<br />
bereits vorliegender methodisch-didaktischer Erkenntnisse<br />
durchaus möglich machte, ist darauf hinzuweisen, dass<br />
psychodynamische Muster zu Blockaden führen, die sowohl<br />
die Schüler als auch die Lehrer hindern, eine personal ausgerichtete<br />
Unterrichtsgestaltung umzusetzen. So zeigt eine<br />
Allensbach-Studie (Süddeutsche 2012), dass zwar Lehrer mit<br />
Freude bei der Arbeit sind, aber doch für viele der Reiz wegen<br />
92 EXISTENZANALYSE 29/2/2012