WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International
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Buchbesprechung<br />
Die Affektsuppressionsphase besteht im Kennenlernen<br />
der einzelnen Alternativpersönlichkeiten, im direkten Ansprechen,<br />
sowie im Verstehen der Teilpersönlichkeiten als<br />
Gruppen von Anteilen. Fine beschreibt hier die verschiedenen<br />
Gruppen, wodurch sie sich auszeichnen, und die wesentlichen<br />
stabilisierenden Vorgangsweisen und Techniken.<br />
Die zweite Phase nennt sie Phase der Affektschwächung.<br />
Es handelt sich hierbei um eine Präintegrationsphase durch<br />
gezielte Traumabearbeitung und Traumasynthese, die durch<br />
eine Wiederverbindung abgespaltener Erlebnisdimensionen<br />
mittels des von Bennet und Braun beschriebenen BASK<strong>–</strong><br />
Modells geschieht (Verhalten, Gefühle, Körperempfinden<br />
und Kognitionen werden integriert). Fine bevorzugt dabei<br />
(wie auch Luise Reddemann) die fraktionierten Traumabearbeitungstechniken,<br />
d.h. im Falle der Dissoziativen Identitätsstörung,<br />
dass man nur jeweils einen Anteil erzählen<br />
lässt, (Eile mit Weile), dann den nächsten etc. Weiters geht<br />
es ihr dann um die Förderung der Zusammenarbeit von sog.<br />
Persönlichkeitsclustern (Persönlichkeitsanteile, die gemeinsame<br />
affektive, sensorische, kognitive und behaviorale Themen<br />
haben, „Bergsteigerteams mit ähnlichen Fähigkeiten<br />
und Vorbereitungen“). Sie empfiehlt weiters ein zeitweises<br />
Überblenden von Persönlichkeiten, um die Gewöhnung an<br />
starke Empfindungen und Affekte zu fördern und gibt auch<br />
hier Hinweise auf die praktische Vorgangsweise.<br />
In der Postintegrationsphase ist dann optimalerweise<br />
das neurotische Funktionsniveau erreicht bzw. die Persönlichkeitsspaltung<br />
überwunden. Es erfolgt die weitere Bearbeitung<br />
der integrierten Erfahrung nach dem normalen therapeutischen<br />
Vorgehen.<br />
Lilo Tutsch<br />
Luise Reddemann: „Psychodynamisch imaginative Traumatherapie<br />
bei dissoziativer Identitätsstörung und DDNOS“<br />
Die seit 1985 in Bielefeld entwickelte PITT wird modifiziert<br />
für hoch dissoziative PatientInnen vorgestellt. In<br />
einer phasenorientierten Arbeitsweise wird die Fähigkeit<br />
der PatientInnen zu inneren Bildern und zur Dissoziation<br />
als Ressource genutzt. Hilfreiche Imaginationen für die Stabilisierungsphase<br />
wie „Runder Tisch“, „Ort der Geborgenheit“,<br />
„Hilfreiche Wesen“, u.a.m. werden im Hinblick auf<br />
die besonderen Bedürfnisse dieser Patientinnen beleuchtet.<br />
Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass in der therapeutischen<br />
Arbeit auf die Unterschiedlichkeit der verschiedenen<br />
inneren Anteile hinsichtlich deren Motivation, Erleben, Vorlieben,<br />
Intentionen geachtet, darauf eingegangen und deren<br />
Kommunikation untereinander gefördert werden muss. Besondere<br />
Gefahren und Schwierigkeiten, die dabei auftreten<br />
können, werden beschrieben. Für die Traumakonfrontation<br />
werden die Bildschirmtechnik und die Beobachtertechnik<br />
auf ihre Anwendung hin beleuchtet. Besonderen Stellenwert<br />
bekommt die Integration traumatischen Materials durch<br />
Trost und (Be-)Trauern, auch all dessen, was im Lebensvollzug<br />
unwiederbringlich durch die Traumatisierung verloren<br />
ging. Im Artikel werden der Reichtum und die Vielfalt der<br />
Erfahrung der Verfasserin spürbar. Ohne umfassende Weiterbildung<br />
sind die angesprochenen Übungen keinesfalls bei<br />
schwer traumatisierten Patientinnen anwendbar.<br />
Arne Hofmann, Helga Mattheß: „EMDR bei schweren<br />
dissoziativen Störungen“<br />
Erfahrene Psychotherapeutinnen werden mit Einsatzmöglichkeiten<br />
der EMDR-Methode bei schweren dissoziativen<br />
Störungen vertraut gemacht. Es werden die Voraussetzungen<br />
für diese Arbeit sowohl auf PatientInnen-, als<br />
auch auf TherapeutInnenseite benannt, um EMDR als <strong>EIN</strong>E<br />
Komponente in einen umfassenden Behandlungsplan einzubetten.<br />
Auch die EMDR-Therapie verläuft nach dem von<br />
Janet vorgeschlagenen Phasenverlauf in der Behandlung.<br />
Die Anwendung der bilateralen Stimulationen wird hinsichtlich<br />
ihrer Effekte und Gefahren in der Stabilisierung, in der<br />
Traumabearbeitung und der Integrationsphase beleuchtet.<br />
Die Einbeziehung aller Anteile im System, die Einwilligung<br />
in die Interventionen, die Kommunikation der Anteile untereinander<br />
und die Gesamtmotivation des Systems zur Veränderung<br />
beeinflussen die Bearbeitung, die nach der Grundregel<br />
von Kluft „The slower you go, the faster you get there“<br />
verlaufen sollte. Anders als beim üblichen EMDR-Vorgehen<br />
wird nach dem umgekehrten Standardprotokoll gearbeitet.<br />
Das heißt, dass bei komplex traumatisierten PatientInnen<br />
mit belastenden Situationen begonnen wird, die in der Zukunft<br />
liegen. Es folgen Ereignisse, die sekundäre Folgen der<br />
frühen Traumatisierung sein können, erst dann werden protagonistische<br />
Schlüsselerlebnisse der Trauma-Cluster prozessiert.<br />
Behandlungsstrategien für den Einsatz des Standardprotokolls<br />
werden auf die Bedürfnisse hoch dissoziativer<br />
Patientinnen modifiziert beschrieben.<br />
Renate Bukovski<br />
Marlene Steinberg, Pamela Hall, Craig R. Lareau, Dominic<br />
Ciccetti: „Diagnostik valider und vorgetäuschter Dissoziation<br />
mit dem strukturierten klinischen Interview für<br />
dissoziative Störungen“<br />
Die Autoren beschäftigen sich in anschaulicher Weise<br />
mit der Problematik, der vor allem der forensische Gutachter<br />
gegenübersteht, wenn es darum geht, im Falle von Dissoziationen<br />
zwischen realen und vorgetäuschten Symptomen<br />
zu unterscheiden. Im ersten Teil des Artikels werden das<br />
strukturelle klinische Interview für DSM-IV dissoziative<br />
Störungen (SCID-D) gut übersichtlich dargestellt und die<br />
Vorteile, die im halbstrukturierten Interview gegenüber dem<br />
vollstrukturierten liegen, herausgearbeitet. Weiters geben<br />
die Autoren wichtige psychometrische Informationen zum<br />
SCID-D mit den dazu durchgeführten Studien und sie führen<br />
die wichtigsten Daten einer Untersuchung an, die belegen<br />
konnte, dass das SCID-D sicher zwischen Patientinnen mit<br />
DIS und Personen, die eine DIS simulierten, differenzierte.<br />
In sehr übersichtlicher Form geben die Autoren zusätzliche<br />
Richtlinien (zu den Allgemeinen Richtlinien, die im Handbuch<br />
zum SCID-D-R beschrieben sind), die für die forensischen<br />
Untersuchungen von Bedeutung sind. Sehr hilfreich<br />
ist auch die schematische Darstellung, wie beim Vorliegen<br />
dissoziativer Symptome die Differentialdiagnostik erleichtert<br />
werden kann. Weiters geben die Autoren noch einen<br />
kurzen Überblick über gängige andere Diagnosemethoden<br />
bei diesen Fragestellungen und den Problemen, die mit dem<br />
Einsatz dieser Methoden verbunden sein können.<br />
116 EXISTENZANALYSE 29/2/2012