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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Buchbesprechung<br />

Luise Reddemann, Arne Hofmann, Ursula Gast (Hg)<br />

Psychotherapie der dissoziativen Störungen<br />

Krankheitsmodelle und Therapiepraxis <strong>–</strong><br />

störungsspezifisch und schulenübergreifend<br />

3. überarbeitete Auflage, Stuttgart: Thieme<br />

Gut 200 Seiten prall gefüllt mit Informationen zum<br />

„state of the art“ von Theorie, Diagnostik und Therapie der<br />

dissoziativen Störungen. Die Autoren <strong>–</strong> allesamt prominente<br />

Vertreter der Traumatherapie <strong>–</strong> stellen in kompakter, gut lesbarer<br />

und durch herausgehobene Kurzfassungsblöcke der<br />

wesentlichen Aussagen in überblicklich erfassbarer Weise<br />

ein „Arbeitsbuch“ vor, das <strong>–</strong> hat man es durchgeackert <strong>–</strong> einen<br />

sehr guten Überblick über die wesentlichen und wichtigen<br />

Elemente in der traumatherapeutischen Vorgangsweise<br />

(durch die schulenspezifischen Vertreter immer wieder ein<br />

wenig unterschiedlich beleuchtet), über die klassifikatorische<br />

Landschaft, deren mögliche Verbesserung wie auch<br />

ihrer Schwierigkeiten und zum Verständnis der strukturellen<br />

Dissoziation gibt. Ergänzt wird es durch die Besprechung<br />

spezifischer Anwendungsfelder wie der stationären Therapie,<br />

des forensischen Bereiches und durch einen Praxisratgeber.<br />

Die Autoren sind sich in den grundlegenden Fragen<br />

zu Theorie und Therapie einig, was die Homogenität bzw.<br />

die schulenübergreifende Intention aller Artikel unterstreicht,<br />

beim Leser aber andererseits ein zunehmendes „deja<br />

vu“ produziert <strong>–</strong> das kann ein wenig ermüden, aber andererseits<br />

„sitzen“ dann auch die wesentlichen Aussagen und man<br />

geht recht gut informiert, geklärt und vor allem nachhaltig<br />

angeregt in die therapeutische Arbeit.<br />

Gerhard Dammann und Bettina Overkamp geben einen<br />

umfassenden Einblick in die „Diagnose, Differentialdiagnose<br />

und Komorbidität dissoziativer Störungen des Bewusstseins“.<br />

Nach einer Einblendung der DSM-IV und der ICD-10<br />

Klassifikation weisen die Autoren darauf hin, dass beide<br />

Klassifikationssysteme in einem nicht abgeschlossenen Diskussionsprozess<br />

sind. Dann gehen sie auf die besonderen<br />

Schwierigkeiten in der Diagnosestellung von dissoziativen<br />

Störungen ein, begründen weshalb dissoziative Symptome<br />

nicht immer offensichtlich bzw. leicht zu erkennen sind und<br />

betonen, dass aufgrund der beschriebenen Schwierigkeiten<br />

dissoziative Symptome aktiv erfragt werden müssen, dass<br />

den vielfältigen Ausdrucksformen und Ausprägungsgraden<br />

dissoziativer Symptome durch flexible Fragetechnik Rechnung<br />

getragen werden muss und dass eine konfrontative<br />

Fragetechnik häufig zu Destabilisierung führt, weshalb sie<br />

zu vermeiden ist.<br />

Unterstützend für die Diagnosestellung beschreiben sie<br />

eine Reihe hilfreicher Screeninginstrumente und Fragebögen<br />

und geben deren Bezugsmöglichkeiten an. Sie führen zudem<br />

die von Kluft (1996a) und Ross (1997) zusammengestellten<br />

unspezifischen und spezifischen diagnostischen Hinweise<br />

auf eine dissoziative Störung an und geben dem Leser damit<br />

eine gute Unterstützung, um Hinweise auf eine Dissoziative<br />

Störung schneller aufzufinden.<br />

Den Überblick über die Studien zur Komorbidität der<br />

Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) findet man selten so<br />

übersichtlich.<br />

Die Spannung steigt im Kapitel zu den Differentialdiagnosen,<br />

vor allem dort, wo es um eine Differenzierung<br />

zwischen Borderlinepersönlichkeitsstörung (BPS) und DIS<br />

geht. Die Autoren nennen zuerst die Gemeinsamkeiten (sowohl<br />

bei BPS wie auch bei DIS Patienten finden sich alle<br />

Arten von dissoziativen Phänomenen, beide Störungen<br />

weisen Identitätsdiffusion, autodestruktives Verhalten, Impuls-<br />

und Affektregulationsprobleme, interpersonelle Probleme…auf)<br />

und verweisen dann darauf, dass es aber doch<br />

fundamentale Unterschiede in den zugrunde liegenden Dynamiken,<br />

Prozessen und Strukturen gibt. So ist z. B. ein sehr<br />

deutliches Unterscheidungskriterium, dass bei BPS eher die<br />

schlechten, bösen Anteile abgespalten werden, während bei<br />

DIS Pat. die Bereiche des gesamten Lebens auf verschiedene<br />

Identitäten fallen. Weiters sind bestimmte dissoziative<br />

Symptome wie z. B. Stimmen-Hören bei DIS Pat. alltäglich,<br />

während sie bei BPS nur in massiven Labilisierungsphasen<br />

auftauchen. Der bei beiden Störungsbildern dominierende<br />

Schutzmechanismus der Spaltung zeigt bei der BPS eher die<br />

polarisierende Form (z. B. Idealisierung und Entwertung),<br />

bei DIS-Pat. betrifft die Spaltung eher die Identität. Überdies<br />

sind Dissoziationsphänomene wie z. B. Wachträume<br />

bei DIS hoch elaboriert, bei BPS sind sie desorganisierter.<br />

Auch ist die Persönlichkeitsstruktur bei DIS meist höher organisiert.<br />

Der Artikel ist eine spannende Reise durch den diagnostischen<br />

Dschungel, gibt einerseits Orientierung durch die<br />

überblickliche Darstellung, macht aber andererseits doch<br />

recht deutlich, dass eine klare Reiseroute bei noch so differenzierter<br />

Wahrnehmung wohl nicht immer zu finden ist.<br />

Die Orientierung wird aber noch weiter unterstützt,<br />

wenn man das nächste Kapitel von Ursula Gast liest: „Dissoziative<br />

Identitätsstörung <strong>–</strong> Valides und dennoch reformbedürftiges<br />

Konzept?“<br />

Sie beschäftigt sich darin mit der wohl schwersten dissoziativen<br />

Störung <strong>–</strong> der Dissoziativen Identitätsstörung (DIS)<br />

(ICD-10: Multiple Persönlichkeitsstörung). Die Existenz<br />

von offensichtlich getrennt und selbständig agierenden Persönlichkeitszuständen<br />

ruft Faszination und andererseits Unglauben<br />

hervor. Der wissenschaftliche Diskurs wird häufig<br />

sehr emotional geführt und verfolgt im Groben gesagt zwei<br />

unterschiedliche Meinungen bzw. Fragestellungen:<br />

Handelt es sich um eine komplexe posttraumatische<br />

Erkrankung oder ein Artefakt einer unsachgemäß durchgeführten<br />

Psychotherapie (Hypnose, Rollenspiel…) und um<br />

einen suggestiven Einfluss der Medien? Ist es eine Variante<br />

einer anderen psychiatrischen Erkrankung oder eine valide,<br />

d.h. umschriebene und eigenständige Erkrankung? Gast<br />

präferiert und referiert die Eigenständigkeit des Krankheitsbildes<br />

nach den Validitätskriterien von Blashfield und Mitarb.<br />

(1990) sowie von Spitzer und Williams (1985) und stellt<br />

im Anschluss die m.E. äußerst hilfreiche und übersichtliche<br />

neue Kategorisierung von Paul Dell und seiner Arbeitsgruppe<br />

vor. Diese baut auf der Basis der Ergebnisse zahlreicher<br />

Studien zum klinischen Erscheinungsbild Dissoziativer Störungen<br />

ein sehr umfassendes operationalisiertes neues Diagnosekonzept<br />

auf, das die Gesamtbreite der dissoziativen<br />

Symptomatik umfasst und in ihren drei Hauptgruppen eine<br />

gute Zuordnung nach dem Schweregrad der Dissoziation er-<br />

EXISTENZANALYSE 29/2/2012 113

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