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WO EIN WILLE – DA EIN WEG - GLE International

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Symposium: Theologie und Seelsorge<br />

Doch nun ist offenkundig, daß es sowohl viele Menschen<br />

gibt, die einen so ausgerichteten Lebensweg nicht beschreiten<br />

wollen, als auch viele, die ihn wohl beschreiten,<br />

aber scheitern. Der guten Schöpfung steht allzu viel Böses<br />

gegenüber, womit sich die Frage nach dem Ursprung des<br />

Bösen stellt. Für Augustinus ist nun entscheidend festzuhalten,<br />

daß Gott als summum bonum weder Urheber des Bösen<br />

sein kann noch als Allmächtiger und Einziger mit dem Bösen<br />

eine Art Gegengott haben kann. Auch muß die Verantwortung<br />

des Menschen für sein Tun gewahrt bleiben, selbst<br />

wenn die Erfahrung sagt, daß hinter dem bösen Tun von<br />

Menschen oft eine unbezwingbare Kraft zu stehen scheint.<br />

Also hält Augustinus fest: Dem Bösen kommt keine Eigenständigkeit<br />

zu, sondern es ist ein Mangel an Gutem (privatio<br />

boni). Zu diesem Mangel kommt es, weil der Mensch<br />

als Abbild Gottes die Willensfreiheit, die libertas voluntatis<br />

hat, damit aber auch der Möglichkeit des Irrtums unterliegt.<br />

So entsteht die Sünde aus einer Verkehrung des Willens,<br />

wird zu einem falschen Wollen, das jedoch im Sinne der<br />

Verantwortung immer gewollt bleibt. Der freie Wille ist ein<br />

von Gott geschenktes Gut, ein sog. „mittleres“ Gut, wie Augustinus<br />

in seinem Werk „Der freie Wille“ festhält, das die<br />

Wahl hat, sich auf das allgemeine unwandelbare Gut einzustellen<br />

oder sich dem Eigengut oder Niedrigem zuzuwenden<br />

(vgl. Augustinus 1941, 106).<br />

Doch bei aller Freiheit der Entscheidung, bei allem Insistieren<br />

darauf, daß der Mensch Urheber seiner Willensausrichtung<br />

und auch seines bösen Tuns ist, reicht doch der<br />

Wille nicht aus, das angestrebte Ziel, die Gottesschau zu<br />

erreichen. Augustinus hat diesen vergeblichen Kampf selbst<br />

durchlitten und in seiner Autobiographie „Confessiones“/<br />

Bekenntnisse in Anlehnung an die besprochene Paulusstelle<br />

beschrieben. Die Zeit unmittelbar vor seiner Bekehrung<br />

hat er wie eine Gefangenschaft in den Ketten des eigenen<br />

Willens erfahren. Da war sein alter, sein verkehrter Wille,<br />

gebunden durch Lust, Gewohnheit und Notwendigkeit, und<br />

da war ein neuer Wille, der Gott dienen und sich an ihm beseligen<br />

wollte. Doch dieser „taugte noch zu wenig, um den<br />

alten zu besiegen... So kämpften zwei Willen miteinander,<br />

beide die meinigen,..., vom Fleisch der eine, vom Geist der<br />

andere, und ihre Zwietracht zerriß mir die Seele.“ (Augustinus<br />

1980, 381)<br />

Diesen aus eigener Kraft nicht zu lösenden Konflikt begründet<br />

Augustinus theologisch wie folgt, indem er heilsgeschichtlich<br />

unterscheidet zwischen dem Menschen vor dem<br />

Sündenfall, nach dem Sündenfall und nach der Berufung.<br />

Vor dem Sündenfall, so das Konstrukt des Augustinus, war<br />

Adam in der Lage, die Sünde zu vermeiden (posse non peccare),<br />

da er zunächst Gottes Gnadenhilfe annahm, um seinen<br />

guten Willen auf das rechte Ziel auszurichten. Dann jedoch<br />

verweigerte er sich aus Hochmut, der Ursache für den Fall.<br />

Nach diesem Ereignis war die frühere natürliche Ordnung<br />

des Willens ein für allemal zerstört, die Befähigung zur Vermeidung<br />

der Sünde für immer verloren (non posse non peccare).<br />

Die Sünde begann, ihre Macht zu entfalten als Hochmut,<br />

Begierde und Selbstliebe.<br />

Ich halte es für ein Verdienst des Augustinus, daß er mit<br />

diesem Ansatz das Verständnis von Sünde radikalisiert hat,<br />

indem er Sünde nicht mehr als falsche Einzeltat versteht,<br />

sondern als eine grundsätzlich verkehrte Orientierung des<br />

Menschen, die sich auf all sein Denken und Tun auswirkt<br />

und aus der ohne die Gnade Gottes keine Selbstbefreiung<br />

möglich ist. Zutreffend ist sicherlich auch die Beobachtung,<br />

daß diese verkehrte Orientierung schicksalhaft über die ganze<br />

Menschheit gekommen ist, was Augustinus wiederum zu<br />

seiner Lehre von der Erbsünde veranlaßt hat. Erbsünde versteht<br />

er als Ursprungssünde Adams, die sich von Generation<br />

zu Generation weiter vererbt hat bis zum heutigen Tag. Daß<br />

er dies allzu materialistisch am Zeugungsakt und psychologisch<br />

fragwürdig an der geschlechtlichen Lust festmacht,<br />

wird man nicht nachvollziehen können und müssen, aber es<br />

bleibt die unüberholbare Wahrnehmung von der Macht innerer<br />

Konflikte, denen Menschen ausgeliefert sind und aus<br />

denen sie befreit werden können. Für Augustinus wird diese<br />

Befreiung möglich durch die dem Willen zuvorkommende<br />

Gnade Gottes, die den gefesselten Willen erlöst und ermächtigt<br />

zu dem, was er eigentlich anstrebt, und die dann mit ihm<br />

zusammenwirkt, um auf dem eingeschlagenen Weg bestehen<br />

zu können.<br />

Auch hier findet sich ein wichtiger Gedanke Augustinus’:<br />

Mit der Bekehrung sind nicht alle Probleme schlagartig<br />

gelöst und alle Schwierigkeiten aus der Welt, sondern<br />

der Weg zur Gottesschau ist ein Prozeß, zu dem auch Irrtum<br />

und Scheitern immer wieder gehören. Hier braucht der gute<br />

Wille die mithelfende Gnade, die sich ihm auch im Beispiel<br />

Jesu sowie in der Autorität der Kirche zeigt. Die Nähe zu<br />

Gott jedoch macht ein Verhalten des Menschen aus, das<br />

keine Vorschriften mehr braucht, von Augustinus durch den<br />

schönen Satz gekennzeichnet: „Ama et fac, quod vis; liebe<br />

und tue, was du willst.“<br />

Zusammenfassende Beurteilung<br />

Die Auseinandersetzung um die Willensfreiheit des Menschen<br />

war für Augustinus auch darum so wichtig, weil er sie<br />

in dem theologischen Zusammenhang von Sünde und Verantwortung<br />

des Menschen im Angewiesensein auf die Erlösung<br />

durch die Gnade Gottes bewahrt wissen wollte angesichts einer<br />

Gegenposition, wie sie damals durch einen gewissen Pelagius<br />

und dessen Schüler vertreten wurde. Diese waren der<br />

Ansicht, daß es dem Menschen sehr wohl möglich sei, aus<br />

eigener Kraft ein Leben in der Nachfolge Jesu zu führen.<br />

Indem Augustinus auf der Notwendigkeit der berufenden<br />

Gnade Gottes insistierte und indem er den Fokus<br />

auf die innerseelische Zerrissenheit des Menschen richtete,<br />

hat er auch der Gefahr eines ethischen Rigorismus gewehrt<br />

und das Verständnis von Sünde vertieft, die sich eben nicht<br />

erschöpft im normativen Denken von Richtig und Falsch,<br />

sondern eine grundsätzliche verkehrte Lebensausrichtung<br />

meint. Der von Augustinus beschriebene innerseelische<br />

Konflikt der zwei Willen, die gleichwohl von demselben<br />

Ich erlebt werden, ist der Widerstreit zwischen dem Triebhaften,<br />

Genußorientierten, kurzfristig Lustverheißenden und<br />

dem Willen zum Guten, weil Dauerhaften, Freude Versprechenden.<br />

Letzteres ist für Augustinus das Wertvolle, dem al-<br />

EXISTENZANALYSE 29/2/2012 105

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