„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Grundlagen der Hexenprozesse 9<br />
satz der Folter:<br />
Es ist mir schon früher oft der angstvolle Gedanke gekommen, daß jene erwähnten<br />
Inquisitoren diese ganze Unzahl von Hexen erst mit ihrem unbesonnenen, doch sollte ich<br />
sagen, wirklich sehr ausgeklügelten und weislich verteilten Foltern nach Deutschland<br />
hereingebracht haben. 36<br />
2. Rechtliche Entwicklung<br />
Der Großteil der Hexereiverdächtigen wurde – wenn man von einer heute nicht mehr<br />
genau bezifferbaren Zahl von Fällen von Lynchjustiz absieht – mit Berufung auf rechtliche<br />
Grundsätze von ordentlichen Gerichten verurteilt. 37 Die Verhörprotokolle stellten<br />
ein zentrales Element eben dieser juristischen Praxis der Hexenprozesse dar. Aufgrund<br />
der pragmatisch orientierten Fragestellung dieser Arbeit, die vor allem darauf abzielt,<br />
Abhängigkeiten zwischen den sprachlichen Ausprägungen der überlieferten Protokolle<br />
und den historischen Entstehungsbedingungen aufzuzeigen, ist an dieser Stelle eine<br />
Darstellung der rechtlichen Entwicklung unabdingbar. Die Darstellung wird im Vergleich<br />
zu anderen linguistischen Arbeiten relativ differenziert ausfallen, da starke Verallgemeinerungen<br />
die unübersichtliche und uneinheitliche Rechtssituation nicht angemessen<br />
wiedergeben und somit keine ausreichende Grundlage für die Einordnung der<br />
folgenden Untersuchungsergebnisse bilden können. Insgesamt ist die Frühe Neuzeit<br />
nach Ansicht der modernen Rechtsgeschichte durch einen Pluralismus der Rechtsquellen<br />
gekennzeich<strong>net</strong>. 38<br />
Das Nebeneinander verschiedener Rechtsauffassungen ist vor<br />
allem dadurch begründet, dass diese Zeit eine Übergangszeit darstellt, in der in den<br />
deutschen Territorien die zunehmende Ablösung der vor allem mündlich tradierten Gewohnheitsrechte<br />
durch das so genannte „gelehrte Recht“ erfolgte.<br />
2.1 Die überlieferten Gewohnheitsrechte<br />
Bis ins Hochmittelalter hinein bildeten vor allem Stammes- und Ständerechte die<br />
Grundlage für die gerichtlichen Prozesse. Wesentliches Merkmal dieser Rechte war,<br />
dass sich ihre Autorität vor allem auf die mündliche Überlieferung stützte. 39 Da keine<br />
systematische Aufzeichnung und Sammlung des Rechts erfolgte, existierten auch weder<br />
juristische Lehrbücher noch gab es eine geregelte juristische Ausbildung. Das Recht<br />
war vielmehr ein Laienrecht, das in der Frühzeit von der gesamten Gerichtsgemeinde,<br />
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Spee 1986 [1631], 109.<br />
Vgl. Levack 1999, 75 sowie Schormann 1996, 51.<br />
Zum parallelen Auftreten mehrerer Rechtsquellen vgl. Immel 1976, 61-65.<br />
Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Eisenhardt 1995, 46–52.