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„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net

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Schlussbetrachtung 95<br />

nen darin begründet, dass sich durch das Auftreten der Hexenprozesse in Wellen keine<br />

langen Schreibtraditionen für die Hexereiverhörprotokolle bilden konnten, wie diese<br />

etwa im Bereich der Urkunden und offiziellen Briefe entstanden waren. Zum anderen<br />

existierten in den Formelbüchern oder anderer juristischer Hilfsliteratur keine Vorlagen<br />

für Protokolle in Hexenverhören, die einfach übernommen werden konnten und so zur<br />

Vereinheitlichung beitrugen. Daneben liegt die geringe Standardisierung der Hexereiverhörprotokolle<br />

sicher auch darin begründet, dass die Protokolle schreibsoziologisch<br />

der mittleren Ebene der Schriftlichkeit zuzurechnen sind, bei der in der Regel nur ein<br />

geringer überregionaler Austausch zu erwarten ist. Angesichts der geringen Vergleichsmöglichkeiten<br />

stellt sich die Frage, inwieweit überhaupt ein Bewusstsein für die<br />

Unterschiede in der Protokollführung existierte. Nicht zuletzt begünstigten auch die<br />

häufig vorherrschenden sozialen Unterschiede zwischen Schreibern und Angeklagten<br />

sowie die unterschiedliche Bildung die uneinheitliche Gestaltung der Protokolle. So<br />

erlaubte es die finanzielle Lage vielen Angeklagten nicht, die Protokolle durch Juristen<br />

prüfen zu lassen. Eine eigene Überprüfung war aber in der Regel aufgrund fehlender<br />

Lese-, Latein- und Jurakenntnisse ebenso wenig möglich. Die fehlenden Jurakenntnisse<br />

führten zudem dazu, dass Angeklagte die juristische Relevanz vieler Formulierungen<br />

auch bei der Verlesung der Protokolle nicht erfassen konnten, zumal wichtige Partien<br />

häufig mittels lateinischer Begriffe zusammengefasst wurden (im Norden kam noch das<br />

Problem der Diglossie hinzu). Daneben erschwerte in einigen Fällen zusätzlich noch<br />

eine extrem verkürzte Syntax das Verständnis. Die fehlende Kontrolle der Schreiber auf<br />

allen Ebenen macht es erst vorstellbar, dass offenkundige Verstöße gegen die gesetzlichen<br />

Vorschriften zur Protokollierung (wie etwa die offensichtlich frei erfundene Darstellung<br />

am Ende des Protokolls aus Georgenthal) nicht zur Zurückweisung der Protokolle<br />

führten.<br />

Generell hat die Untersuchung gezeigt, dass die Heterogenität der Hexereiverhörprotokolle<br />

ein Spiegelbild ihrer ungleichen Entstehungsbedingungen darstellt: So sind Protokolle<br />

auf Grundlage sehr unterschiedlicher Gesetze, an unterschiedlich organisierten<br />

und aufgebauten Organisationen der Rechtspflege von Schreibern mit unterschiedlicher<br />

Ausbildung und Bedeutung in den Prozessen erstellt worden. Diese Faktoren gilt es bei<br />

künftigen überregionalen Vergleichsuntersuchungen zur Sprache der Hexereiverhörprotokolle<br />

zu beachten.

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