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„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net

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Von Schreibern und Kanzleien 63<br />

gegen kann weitgehend ausgeschlossen werden, dass längere lateinische Passagen in<br />

den Protokollen darauf hinweisen, dass in den Verhören Latein gesprochen wurde. Der<br />

hohe Anteil von Laien unter den Gerichtsangehörigen hätte dies nämlich überhaupt<br />

nicht zugelassen. Dennoch mag schon die Verwendung weniger standardisierter lateinischer<br />

Ausdrücke auf die Angeklagten wie eine „Geheimsprache“ gewirkt haben, die<br />

ihnen das Verständnis des Prozessablaufs unmöglich machte. 283 Die Tatsache, dass die<br />

Angeklagten zum Großteil aus den unteren Schichten stammten und somit keine Lateinkenntnisse<br />

besaßen, stellte insbesondere bei der Verlesung ein Problem dar: Wiesen<br />

die Protokolle hohe Anteile lateinischer Fremd- oder Lehnwörter auf, konnten die Angeklagten<br />

nur noch in eingeschränktem Maß feststellen, ob das Verhör angemessen<br />

wiedergegeben war. Erschwerend kommt noch hinzu, dass viele Schreiber nicht nur die<br />

prozessualen Abläufe, sondern auch die Aussagen der Angeklagten teilweise lateinisch<br />

wiedergaben. Besonders häufig werden verneinende Aussagen mittels lateinischer Verben<br />

paraphrasiert. So werden in immerhin zehn Protokollen statt direkter oder indirekter<br />

Rede Formen des Verbs negare zur Wiedergabe von Aussagen der Angeklagten verwendet<br />

(mehrfach werden damit mehrere verneinende Antworten zusammengefasst). 284<br />

Häufig zu beobachten ist ebenso die Verbindung von Aussagen mit item. In einigen<br />

Protokollen treten daneben offenbar willkürliche Übersetzungen einzelner Worte auf. 285<br />

Insgesamt hängt Art und Umfang der Lateinverwendung in Hexereiverhörprotokollen<br />

offensichtlich weiterhin erheblich von den Schreibern sowie lokalen Traditionen ab.<br />

Darüber hinaus hat sich aber im 16. und 17. Jahrhundert ein Repertoire von standardisierten<br />

Fachausdrücken gebildet, das überregional verbreitet ist (in vielen Protokollen<br />

stellen diese standardisierten Ausdrücke die einzigen lateinischen Fremd- und Lehnwörter<br />

dar). Diese Vereinheitlichung lässt sich als „juristische Professionalisierung der<br />

Schreiber“ deuten. 286 Berücksichtigt man jedoch die ungeregelte, oft rein praktische<br />

Ausbildung der Schreiber durch die Kanzleien, so könnte man dies auch als eine Vereinheitlichung<br />

auf niedrigem Niveau betrachten, deren Grundlage weniger juristische<br />

Bildung als vielmehr die Nachahmung von Vorlagen darstellt.<br />

283 Vgl. Macha 2003a, 30.<br />

284 Vgl. hierzu auch die Untersuchungen zu den Formen der Wiedergabe im fünften Kapitel.<br />

285 Im Protokoll aus Göttingen von 1649 beispielsweise wird die Aussage der Angeklagten mit den Worten<br />

wiedergegeben, sie habe sich aber resolviret, nicht zu entweichen (Macha [et al.] 2005, 37<br />

[Z. 90]).<br />

286 Macha 1991, 56.

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