„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff 37<br />
existieren in der Regel keine differenzierten Vorschriften. Somit ist die wörtliche Übereinstimmung<br />
von Reinschrift und Abschrift beziehungsweise Auszug gesetzlich nicht<br />
verbindlich festgelegt. Angesichts der zum Teil recht weit auslegbaren Vorschriften zur<br />
Protokollführung stellt sich generell die Frage nach der Beweiskraft der Protokolle.<br />
4. Zur Beweiskraft von Protokollen<br />
4.1 Wahrheitsanspruch und Gültigkeitsbedingungen<br />
Im Zentrum des neuen Verfahrenstyps „Inquisitionsprozess“ stand – wie im zweiten<br />
Kapitel ausführlich dargestellt – der Anspruch, die objektive Wahrheit über den Hergang<br />
eines Vergehens zu ermitteln. Die Verhörprotokolle waren als schriftliches Zeugnis<br />
der ermittelten Wahrheit sowie als Beleg der Rechtmäßigkeit des Prozessablaufs ein<br />
elementarer Bestandteil der Inquisitionsprozesse. Dies stellte auch insofern eine wesentliche<br />
Neuerung dar, als damit neben den realen Zeugen, die den gewohnheitsrechtlichen<br />
Prozess prägten, das schriftliche Zeugnis Beweiskraft erhielt. In Zedlers Universal Lexicon<br />
heißt es in diesem Sinn:<br />
Die WFrckung deren Gerichts-BFcher bestehet darinnen, daß sie einen recht v=lligen<br />
Beweiß abgeben. 176<br />
Mit der Aufwertung der Protokolle zu vollgültigen Beweisen gingen Bestimmungen in<br />
den gesetzlichen Verordnungen einher, die Bedingungen für eine korrekte und angemessene<br />
Verschriftlichung formulierten. So verlangten die Gerichtsordnungen des 16.<br />
und 17. Jahrhunderts von den Schreibern beispielsweise, die Abläufe und Aussagen<br />
getrewlich auff[zu]schreiben. 177 Als Grundlage für die angemessene Wiedergabe wurden<br />
im Allgemeinen die akustischen und visuellen Sinneseindrücke des Protokollführers<br />
angeführt. Angesichts der offenkundigen Missstände bei der Protokollführung, die beispielsweise<br />
in der Präambel der Reichsnotariatsordnung explizit angesprochen werden,<br />
stellt sich die Frage, worin die Garantien für die Einhaltung der Bestimmungen zur Protokollführung<br />
lagen. Die Gerichtsordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts sahen vieldaß<br />
unser Gerichtschreiber / so die Gerichts-Prothocolla, so wol in criminal- als civil-<br />
Sachen / doch jedes absonderlich / unstr(fflich halten und verwahren solle. In anderen Gerichtsordnungen<br />
bezieht sich die Verwahrung nur auf die Zeit, in der der Gerichtsschreiber an den Protokollen<br />
beziehungsweise dem Gerichtsbuch arbeitet. In der übrigen Zeit wird beispielsweise nach der Nassauischen<br />
Gerichts- und Landordnung das Gerichtsbuch in einer verschlossenen Kiste am Gericht aufbewahrt,<br />
zu der der Gerichtsschreiber keinen Schlüssel besitzt (vgl. Nassauische Gerichts- und Landordnung<br />
1616, 3).<br />
176 Zedlers Universal Lexicon 1734, 1115 [Art. Gerichts-Buch].<br />
177 Schroeder 2000, 25 [Art. 5] sowie Peinliche Gerichtsordnung der Landgrafschaft Hessen 1609, 5.