„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Wiedergabeformen 74<br />
auch aus Gerichtsordnungen und natürlich seiner Erfahrung als Verfasser von<br />
Ratsprotokollen. [...] Bei der Produktion des Verhörprotokolls hat er also auf vorhandene,<br />
zudem vergleichbare Muster zurückgreifen können. 317<br />
Auch in anderen Bereichen haben Forscher eine Übernahme von Schreibtraditionen und<br />
Mustern aus anderen Tätigkeiten beobachtet, wenn sich den Schreibern neue Aufgaben<br />
stellten. So beobachtet beispielsweise Gloning im Zusammenhang mit dem Auftreten<br />
der ersten Wochenzeitungen im 17. Jahrhundert starke Ähnlichkeiten zu den Gepflogenheiten<br />
der Geschäftssprache und erklärt dies damit, dass die Berichterstatter mit der<br />
Geschäftswelt vertraut waren und so „bei einer zu lösenden Aufgabe auf die dort verfügbaren<br />
sprachlichen Mittel zurückgreifen und sich an den dort üblichen Mustern orientieren“<br />
konnten. 318 Zu diesen Mustern gehört auch die Strukturierung von Texten mittels<br />
Marginalspalten, die – wie Gloning anhand zahlreicher Quellen belegt – „im Fundus<br />
sprachlicher Mittel der Textorganisation im 16. Jahrhunderts und davor bereits gut<br />
verankert“ war. 319 Im Textkorpus treten solche Marginalspalten in etwa zwei Drittel<br />
aller Protokolle auf. Während die Verwendung solcher Marginalien also offensichtlich<br />
überregional verbreiteter Usus ist, unterscheiden sich deren Funktionen im Textgefüge<br />
erheblich. So übernehmen die Marginalien in den untersuchten Hexereiverhörprotokollen<br />
– ähnlich wie die Marginalien in den von Gloning zitierten Quellen – unter anderem<br />
folgende Funktionen:<br />
– Registerfunktion/Stichwort (zum Beispiel: confessio)<br />
– Hervorhebung (zum Beispiel: nota bene)<br />
– Kommentar (zum Beispiel: jesus, ist d[as] so grewli[ch]. 320 )<br />
– Erläuterung (zum Beispiel: deß gleitsmanßschreiben ist alhier nicht verhanden. 321 )<br />
Die Marginalien zeigen somit exemplarisch, wie bei der Gliederung von Hexereiverhörprotokollen<br />
Schreibtraditionen übernommen worden sind. Die Vorlagen aus anderen<br />
Bereichen müssen dabei nicht immer von den Schreibern selbst auf die neue Textsorte<br />
übertragen worden sein. Insbesondere bei den Hexereiverhörprotokollen lagen Vorlagen<br />
aus dem gleichen Bereich vor: So gab es Drucke von Urteilen und Handbücher wie der<br />
Malleus zeigten beispielhaft, wie Verhörprotokolle in Hexenprozessen aufgebaut sein<br />
sollten. Daneben existierten in verschiedenen Territorien offizielle Fragekataloge, die<br />
den Prozessen und damit den Protokollen zugrunde gelegt wurden Beispielhaft sei hier<br />
317 Topalovic 2003, 112f.<br />
318 Gloning 1996, 254.<br />
319 Ebd., 229.<br />
320 Macha [et al.] 2005, 408.<br />
321 Ebd., 318.