„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff 22<br />
und Abschrift sein; Funktionen stellen etwa die interne Nutzung im Prozess, die Weiterleitung<br />
an Juristenfakultäten zur Prüfung von Fällen oder die Rechtfertigung von Urteilen<br />
dar. 104 Bei der Verschriftlichung von Verhören wurden in der Frühen Neuzeit unterschiedliche<br />
Protokolltypen verwendet: So reicht die Bandbreite der überlieferten Protokolle<br />
von Typen, die dem modernen Verlaufsprotokoll ähnlich sind bis hin zu eher berichtenden<br />
Formen. 105 Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob allen Protokollen simultane<br />
Mitschriften zugrunde lagen, wie dies beispielsweise A. Mihm annimmt, 106 oder ob es<br />
sich zum Teil um reine Gedächtnisprotokolle handelt.<br />
Insgesamt macht die Heterogenität der Entstehungsbedingungen, Ausprägungen und<br />
Funktionen frühneuzeitlicher Verhörprotokolle grundsätzliche textsortengeschichtliche<br />
Erwägungen schwierig. Auch eine Untergliederung der Textsorte, die alle genannten<br />
Einzelaspekte berücksichtigt, scheint aufgrund der Komplexität für die Praxis wenig<br />
weiterführend. Zudem existieren zu vielen Protokollen gar keine genaueren Überlieferungen<br />
zu Aspekten wie Bearbeitungsstand oder Funktion, die eine genauere Abgrenzung<br />
erlauben würden. Für sprachwissenschaftliche Fragestellungen erscheint es daher<br />
sinnvoller, den Umfang der Überlegungen zur Textsorte jeweils im Einzelfall vom Untersuchungsziel<br />
abhängig zu machen. 107 Da bei der vorliegenden Untersuchung weder<br />
Textsortengeschichte noch Korpusbildung im Mittelpunkt stehen, soll der Begriff „Hexereiverhörprotokolle“<br />
als Sammelbegriff für die untersuchten Texte beibehalten werden.<br />
108 Die Heterogenität der Texte wird jedoch – entsprechend der Fragestellung dieser<br />
Arbeit – immer wieder zur Sprache kommen.<br />
Trotz aller Unterschiede lassen sich jedoch vorab auch einige Überlegungen anstellen,<br />
die auf alle untersuchten Texte bezogen werden können: Die Hexereiverhörprotokolle<br />
sind Gebrauchstexte; sie wurden „im juristischen Verfahren zu juristischen Zwecken<br />
104 Vgl. Topalović 2003, 126.<br />
105 Vgl. hierzu auch den Abschnitt zur Textorganisation im fünften Kapitel (Seite 70–78).<br />
106 Mihm (1995, 33) sieht in der Existenz von Reinschriftbüchern den Beweis dafür, dass „es unmittelbar<br />
während der Verhandlung entstandene Prozessmitschriften gegeben haben muß.“ Diese Folgerung erscheint<br />
jedoch nicht unbedingt zwingend, denn Reinschriften weisen zwar grundsätzlich auf die Existenz<br />
eines Konzepts hin, dieses kann aber auch erst nach der Verhandlung aus dem Gedächtnis angefertigt<br />
worden sein. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass zumindest einige der überlieferten<br />
Protokolle auch Gedächtnisprotokolle darstellen, wenn auch dies sicher nicht die Regel ist.<br />
107 Nach Topalović (2003, 111f.) sind umfangreiche Untersuchungen zur Bestimmung der Textsorte<br />
hauptsächlich bei Arbeiten erforderlich, die sich Fragen der Textsortengeschichte und Korpusbildung<br />
widmen.<br />
108 Die untersuchten Texte werden in der Edition, an der Topalović als Herausgeberin beteiligt ist, ebenfalls<br />
unter dem Titel „Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit“ versammelt<br />
(Macha [et al.] 2005).