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„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net

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Schlussbetrachtung 94<br />

Nicht zuletzt konnten die Rechtsfakultäten die Richtigkeit und Angemessenheit der Protokolle<br />

allenfalls formal prüfen, da sie selbst keine Befragungen der Angeklagten vornahmen.<br />

Durch die fehlende Kontrolle und die überragende Stellung in sozialer Hinsicht gewannen<br />

die Schreiber, die in einigen Fällen sogar gleichzeitig ermittelnde Kommissare waren,<br />

besondere Bedeutung für die Ausprägungen der Protokolle. Somit erstaunt es nicht,<br />

dass die Untersuchung beispielsweise das Auftreten sehr verschiedener Protokolltypen<br />

gezeigt hat, deren Bandbreite sich von Typen mit zahlreichen Redewiedergaben bis hin<br />

zu Berichtsformen mit wenigen Redewiedergaben erstreckt. Insbesondere in den eher<br />

berichtend gestalteten Protokollen nehmen die Protokollführer durch eine bestimmte<br />

Komposition der Aussagen (eine Überleitung mit aber kann beispielsweise eine Widerspruch<br />

hervorheben) oder bestimmte Redeeinleitungen (beispielsweise gesteht oder will<br />

nicht gestehen) bereits in unterschiedlichem Maße eine juristische Bewertung vor. Aber<br />

auch bei Protokollen, die nur Frage- und Antwortartikel abbilden, muss man eine Neuzusammenstellung<br />

der Aussagen annehmen, da die Verhöre sicher nur selten dem vorgegebenen<br />

Frageschema gefolgt sind.<br />

Die starke Uneinheitlichkeit, die sich insgesamt in der Gestaltung zeigt, ist sicher in<br />

vielen Fällen zudem auf Mängel in der Ausbildung der Schreiber zurückzuführen: Während<br />

die theoretische Rechtsausbildung durch die Gründung neuer Universitäten ständig<br />

verbessert wurde und die Justiz sich durch die Ersetzung von Laien durch gelehrte Juristen<br />

professionalisierte, verblieb die praktische Schreiberausbildung – weitgehend abgekoppelt<br />

von der Rechtswissenschaft – bei Stadtschreibern und Kanzleien. Damit erhielten<br />

die Kanzleitraditionen besondere Bedeutung, die sich daran zeigt, dass sich die Ü-<br />

berformung der Protokolle häufig stark am Kanzleiusus orientiert. Die kanzleigerechte<br />

Überformung betrifft dabei nicht nur die Passagen, die die prozessualen Abläufe dokumentieren,<br />

sondern ebenso die Redewiedergaben. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass Art<br />

und Umfang der kanzleisprachlichen Merkmale in den untersuchten Protokollen sehr<br />

unterschiedlich sind. So übertrugen beispielsweise Schreiber, die umfassende Lateinkenntnisse<br />

besaßen, ganze Passagen der Protokolle ins Lateinische, während andere die<br />

Lateinverwendung auf die einleitende Datumsformel beschränkten. Eine überregionale<br />

Vereinheitlichung und Standardisierung scheint – abgesehen von wenigen überregionalen<br />

Phänomenen wie der Verwendung der hochdeutschen Sprache, dem Auftreten von<br />

syntaktischen Verkürzungen sowie einigen formelhaften Ausdrücken aus dem juristischen<br />

und religiösen Bereich – nicht stattgefunden zu haben. Dies liegt sicher zum ei-

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