„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff 45<br />
klagten aufgezeich<strong>net</strong> wird. Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass hiermit die wörtliche<br />
Wiedergabe im heutigen Sinn gemeint ist. 204<br />
Ob die dargestellte Praxis der Rostocker und Greifswalder Juristenfakultät repräsentativ<br />
für andere Fakultäten ist, könnte nur eine systematische Untersuchung zeigen. Ein Blick<br />
auf das Textkorpus zeigt jedoch, dass auch offenkundige Mängel nicht unbedingt zur<br />
Zurückweisung von Protokollen geführt haben. So ist für keines der untersuchten Protokolle<br />
bekannt, dass es für ungenügend oder sogar ungültig erklärt worden ist, 205 obwohl<br />
sich schon bei einer relativ oberflächlichen Betrachtung zum Teil erhebliche Diskrepanzen<br />
zu den zeitgenössischen Vorschriften offenbaren. Einige der Mängel sollen<br />
im Folgenden exemplarisch dargestellt werden: 206 In formaler Hinsicht wird beispielsweise<br />
die vorgesehene funktionale Trennung von Richter- und Gerichtsschreiberamt<br />
nicht eingehalten: So wird in immerhin drei der untersuchten Protokolle ausdrücklich<br />
erwähnt, dass der ermittelnde Kommissar und der Protokollführer dieselbe Person sind.<br />
Damit ist auf der einen Seite die gegenseitige Kontrolle nicht mehr gegeben, auf der<br />
anderen Seite erscheint es aber auch kaum vorstellbar, dass eine Person zugleich eine<br />
Verhandlung leiten und ein angemessenes Protokoll führen kann. In immerhin sechs<br />
Protokollen wurden mehrere Handschriften identifiziert, ohne dass jeweils eine klare<br />
Abgrenzung oder Zuordnung festzustellen ist. 207 Dies weist darauf hin, dass die Vorschrift,<br />
derzufolge zum Schutz vor Fälschungen nur der Gerichtsschreiber Eintragungen<br />
im Gerichtsbuch vornehmen darf, nicht beachtet worden ist. In den Fällen, in denen sich<br />
mehrere Schreiber abgewechselt haben, müssten die einzelnen Teile zumindest jeweils<br />
durch Datum und Unterschrift der Schreiber abgeschlossen sein. Daneben entspricht die<br />
Gliederung vieler Protokolle nicht der Artikelgliederung der Verhöre. 208 So ist beispielsweise<br />
das Protokoll aus Dillenburg von 1631 eher als zusammenfassender Bericht<br />
gestaltet, in den einige Redewiedergaben eingearbeitet sind. Damit sind weder der Ablauf<br />
des Verfahrens noch die einzelnen Frage- und Antwortartikel ablesbar. Der Forderung,<br />
dass die Aussagen vollständig und vnderschiedlich nacheynander 209 protokolliert<br />
204 Vgl. auch Anmerkung 114.<br />
205 Vgl. hierzu auch die Einleitungstexte zu den Protokollen in der Edition (Macha [et al.] 2005).<br />
206 Weiterführende Untersuchungen zu einzelnen Themenkomplexen werden im vierten und fünften<br />
Kapitel erfolgen.<br />
207 Da die Protokolle nicht als originale Handschriften vorlagen, stützt sich diese Aussage auf die entsprechenden<br />
Angaben zu den Protokollen in der Edition (Macha [et al.] 2005).<br />
208 Vgl. hierzu auch den Abschnitt zur Textorganisation im fünften Kapitel (Seite 71–79).<br />
209 Schroeder 2000, 111.