„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff 32<br />
den Zugang zu den Akten kontrolliert. 150 Damit erhalten die Schreiber wiederum eine<br />
besondere Macht- und Vertrauensposition, wobei hervorzuheben ist, dass die Carolina<br />
für die Anfertigung von Verhöraufzeichnungen in peinlichen Verfahren keineswegs<br />
einen Notarstitel fordert. Vielmehr werden für die Protokollführer immer nur die neutralen<br />
Begriffe schreiber und gerichtßschreiber verwendet. 151 Dies ist sicher im Wesentlichen<br />
auf den im ersten Artikel angedeuteten Mangel an geeig<strong>net</strong>em Personal zurückzuführen.<br />
Neben den allgemeinen Bestimmungen zur Protokollführung enthält die Carolina<br />
in Artikel 58 eine spezielle Vorschrift zur Verhöraufzeichnung während der Folter:<br />
Vnd soll die sag des gefragten nit angenommen oder auffgeschriben werden, so er inn der<br />
marter, sondern soll sein sag thun, so er von der marter gelassen ist. 152<br />
Diese Bestimmung unterscheidet sich deutlich von der in den anderen Artikeln formulierten<br />
Auffassung von einer angemessenen Protokollierung: Während der Folter soll<br />
Schreiber plötzlich nicht mehr wes gehandelt wird, getrewlich auffschreiben, wie es im<br />
Eid des Schreibers formuliert ist, 153 sondern dieser Verfahrensschritt soll gänzlich von<br />
der Aufzeichnung ausgenommen werden. In der Praxis scheint diese Vorschrift, die<br />
wahrscheinlich Falschaussagen der Angeklagten unter dem Eindruck der Folter verhindern<br />
sollte, oft nicht beachtet worden zu sein. So finden sich in den überlieferten Protokollen<br />
immer wieder Passagen, die auf eine Mitschrift während der Folter hinweisen. 154<br />
Dies wird verständlich, wenn man sich die enorme Bedeutung der Folter zur Erlangung<br />
von Geständnissen der „Hexen“ vor Augen führt. Dementsprechend fordert beispielsweise<br />
Kramer im Malleus ausdrücklich, die Aufzeichnung der Aussagen simultan zur<br />
Folter durchzuführen:<br />
Und während sie [peinlich] befragt wird, werde sie über bestimmte Punkte befragt, wegen<br />
150 Vgl. hierzu den Eid des Schreibers (Artikel 5): Ich N. schwere, dass ich soll vnd will [...] klag vnnd<br />
antwurt, anzeygung, argkwon, verdacht, oder beweisung, auch die vrgicht des gefangen, vnd wes gehandelt<br />
wirdet, getrewlich auffschreiben, verwaren, vnnd so es not thut verlesen (Schröder 2000, 25).<br />
151 Der Begriff schreiber wird beispielsweise in Artikel 5, gerichtßschreiber in Artikel 1 der Carolina<br />
verwendet.<br />
152 Schroeder 2000, 51 [Art. 58].<br />
153 Ebd., 25 [Art. 5].<br />
154 So heißt es beispielsweise im Protokoll aus Georgenthal von 1597: Ob nun wol der Meister od[er]<br />
hencker sie mitt zimlicher scherffe angegriff[en] vnd Allerley mittel gebraucht, Inn meinung etwas Auß<br />
ihr zu pringen, So hat sie doch ohne sonderliches wehe klagenn, Auch ohne einige geflossene threnen<br />
od[er] weinen, bestendigklich vff dieser ersten aussage beharret, Sie wer Aller derer dinge, so ihr vorgehallt[en],<br />
vnschuldig, vnnd sey keine Millich diebin, 2. Doch vff fernner Anhallten deß Henckers<br />
vnnd befragung deß Richters gesagt, Man solle mitt der Marter nachlassenn, sie wolle Alles sagenn,<br />
was sie gethan hette (Macha [et al.] 2005, 291). Auch im Protokoll aus Meßkirch von 1644 wird offenkundig<br />
das Aussageverhalten der Angeklagten während der Folter dokumentiert: Wardte also daß<br />
drite mahl aufgehangen vnnd wider an der Tortur ein viertel stundt behalten, blibe aber gantz hardtneckhig<br />
vnnd bekannte noch nichts. hiervber ist sye wid[er] loß gelasßen (ebd., 376).