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„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net

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Schlussbetrachtung 93<br />

weitergehende Ausführungen enthalten (insbesondere zur Bedeutung der Sinneswahrnehmung),<br />

fehlen entsprechende Vorgaben zur angemessenen Selektion der wiedergegebenen<br />

Aussagen sowie zur juristischen Überformung und sprachlichen Gestaltung der<br />

Protokolle. So existieren beispielsweise keine Vorschriften, ob Aussagen in direkter<br />

oder indirekter Rede wiedergegeben werden sollen und wie Aussagewiedergaben<br />

sprachlich markiert werden müssen. Daneben sind die in den Gesetzen formulierten<br />

Vorstellungen durch das Nebeneinander verschiedener Rechtsquellen sowie salvatorische<br />

Klauseln, die die Beibehaltung lokaler Bräuche und Gewohnheiten erlaubten, als<br />

nur beschränkt verbindlich anzusehen. Bei den Hexenprozessen ging man zudem – vor<br />

allem nach den von den Dämonologen geprägten Vorstellungen – gegen einen Ausnahmetatbestand,<br />

ein crimen exceptum, vor, für das normale Verfahrensvorschriften nur<br />

eingeschränkt gültig waren. Somit gaben die zeitgenössischen Gesetze insgesamt nur<br />

einen wenig verbindlichen Rahmen vor, was die Heterogenität der Protokolle erheblich<br />

begünstigte. Dieser Effekt wurde noch dadurch verstärkt, dass die Gerichtsordnungen<br />

für die Protokollführer in Strafprozessen keinen festen Ausbildungsgang vorschrieben.<br />

Vielmehr wurden weiterhin Erfahrung und Tugend als zentrale Qualifikationsmerkmale<br />

betrachtet. In der Tugend der Schreiber sahen die Gerichtsordnungen eine der wesentlichen<br />

Garantien für die Richtigkeit der Protokolle, da der neue Verfahrenstyp des Inquisitionsprozesses<br />

die Öffentlichkeit vom Prozess weitgehend ausschloss.<br />

Die überragende Rolle der Protokollführer wurde aber nicht nur durch die gesetzlichen<br />

Bestimmungen festgeschrieben, sondern hierzu trugen auch in erheblichem Maße die<br />

Institutionen und Abläufe in der Rechtspflege bei. So existierte auf der einen Seite ein<br />

unüberschaubares Gewirr von verschiedenen Institutionen der Rechtspflege, das aufgrund<br />

der politischen Zersplitterung des deutschen Territoriums von keiner zentralen<br />

Rechtsinstanz überwacht wurde. Auf der anderen Seite war die Qualifizierung der Gerichtsangehörigen<br />

sehr unterschiedlich; ausschließlich mit gelehrten Juristen besetzte<br />

Justizapparate waren die Ausnahme. Während die Schreiber in der Regel zumindest<br />

eine gewisse Beschäftigung mit den gelehrten Rechten vorweisen konnten, besaßen die<br />

übrigen Gerichtangehörigen besonders an kleineren Gerichten häufig praktisch keine<br />

Jura- und Lateinkenntnisse. Damit konnten sie die Tätigkeit der Protokollführer nur in<br />

sehr eingeschränktem Maß kontrollieren. Die eigentlich vorgesehene Kontrolle der Prozesse<br />

durch die Rechtsfakultäten funktionierte oft nur in geringem Umfang. So wurden<br />

beispielsweise häufig erst gar keine Rechtsgutachten eingeholt und wenn dies doch geschah,<br />

wurden die Protokolle in der Regel speziell für die Verschickung angefertigt.

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