„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Grundlagen der Hexenprozesse 19<br />
mehr genau feststellen lassen. 90 Wesentliche Unterschiede ergaben sich durch die Größe<br />
der Gerichte: Während an kleineren Gerichten ermittelnder Kommissar und Protokollant<br />
bisweilen in einer Person vereinigt waren, gab es nach der immer wieder zitierten<br />
Untersuchung Stölzels in Reichsstädten wie Frankfurt, Nürnberg, Hamburg, Lübeck<br />
und Bremen „für die Voruntersuchung ein eigenes Verhöramt“. 91 Der Umfang, in dem<br />
die von der Carolina vorgeschriebenen Verfahrensabläufe eingehalten wurden, unterschied<br />
sich von Gericht zu Gericht. Dies wurde durch die salvatorische Klausel ermöglicht,<br />
die die Fortführung lokaler Bräuche und die Anwendung territorialer Gesetzgebung<br />
gestattete, aber auch durch die Vorstellung vom Hexenverbrechen als crimen exceptum,<br />
für das die Verfahrensvorschriften nur eingeschränkte Gültigkeit haben konnten.<br />
Nicht zuletzt erfolgte die Einführung des gelehrten Rechts keineswegs einheitlich,<br />
da diese vor allem an kleineren Gerichten oft von einzelnen gelehrten Juristen wesentlich<br />
geprägt wurde. 92<br />
Die Zersplitterung des Reichs und die Autonomiebestrebungen der Territorien machte<br />
die Kontrolle der einzelnen Gerichte praktisch unmöglich. Das Reichskammergericht<br />
als zentrale Rechtsinstanz im Reich spielte zudem eine eher marginale Rolle in den Hexenprozessen,<br />
da für viele Territorien das privilegium de non appellando galt, das eine<br />
Anrufung des Kammergerichts praktisch ausschloss. Selbst wenn das Reichskammergericht<br />
sich eines Falles annahm, hatte dies nicht unbedingt Auswirkungen auf das Verfahren:<br />
So besaß das Gericht zum einen praktisch keine Mittel, um seine Einwände gegenüber<br />
den territorialen Gerichten durchzusetzen, zum anderen schränkte der „chroni-<br />
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Georg Henisch führt beispielsweise in Teütsche Sprach und Weißheit (1616) unter dem Stichwort<br />
Gericht zahlreiche unterschiedliche Gerichtsformen an, ohne diese jedoch genauer zu erklären (vgl.<br />
ebd. 1973 [1616], 1514–1516). Jacob Döpler widmet in seinem Theatrum Poenarum den unterschiedlichen<br />
Gerichtsformen der Geschichte und Gegenwart gleich ein ganzes Kapitel (Caput I. Von den<br />
Gerichten ingemein und insonderheit), wobei die Erläuterungen, die zu den einzelnen Gerichtsformen<br />
gegeben werden, wiederum eine genaue zeitliche und regionale Zuordnung sowie funktionale Abgrenzung<br />
nicht erlauben (vgl. Döpler 1693, 1–179). Auch in der modernen Rechtsgeschichte wird<br />
immer wieder auf dieses Problem hingewiesen. Vgl. dazu beispielsweise HRG 1971, 1543 [Art. Gerichtsbücher].<br />
Stölzel 1872, 354.<br />
Trusen nimmt aufgrund der lokalen Differenzen an, dass es „den Hexenprozess“ nicht gegeben habe,<br />
sondern dass zumindest die vier folgenden Hauptformen existierten: Von der kirchlichen Ketzerverfolgung<br />
geprägte Prozessformen, Prozesse nach Vorschriften der Carolina, modifizierte altdeutsche<br />
Verfahren und der wissenschaftlich ausgeprägte Inquisitionsprozess gemeinrechtlicher Prägung mit<br />
regionalen Besonderheiten. (vgl. ebd. 1995, 203f.) Döring (1953, 302) betont dagegen den „Zwiespalt,<br />
der im 16. Jahrhundert dadurch entstanden war, daß ein Teil der Gerichte sich bei der Rechtsfindung<br />
ausschließlich oder doch vorwiegend an die heimischen Rechtsgewohnheiten hielt, während der andere<br />
Teil hauptsächlich das römische Recht zugrunde legte.“