„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff 39<br />
chen Notar Bedingung für die Amtsausübung war. 185 Vielmehr spielte – unabhängig<br />
von der Frage, ob Protokollführer in peinlichen Verfahren Notare sein mussten – die<br />
Vereidigung der Schreiber im Allgemeinen eine zentrale Rolle für die Glaubwürdigkeit<br />
von Protokollen. Vorbildfunktion für viele Eidesformeln in den territorialen und lokalen<br />
Gerichtsordnungen hat sicher der 5. Artikel der Carolina („Schreibers Eyde):<br />
Ich N. schwere, daß ich soll vnd will inn den sachen das peinlich gericht betreffend,<br />
fleissig auffmercken haben, klag vnnd antwurt, anzeygung, argkwon, verdacht oder<br />
beweisung, auch die vrgicht des <strong>gefangene</strong>n, vnd wes gehandelt wirdet, getrewlich<br />
auffschreiben, verwaren, vnnd so es not thut verlesen. Auch darinn keynerley geuerde<br />
suchen vnd gebrauchen. Vnnd sonderlich so will ich Keyser Karls des fünfften und des<br />
heyligen Reichs peinlich gericht ordnung vnd alle sachen darzu dienende, getrewlich<br />
fürdern, vnd souil mich berürt, halten, Also helff mir Gott und die heyligen Evangelia. 186<br />
Neben der Verpflichtung zur korrekten und angemessenen Wiedergabe enthält die Eidesformel<br />
ein Verbot der Parteilichkeit (keynerley geuerde suchen). Diese knappe Formulierung<br />
scheint ausreichend, da nach Artikel 1 als Gerichtspersonal nur redliche Personen<br />
ausgewählt werden sollten. In der Praxis war die Unabhängigkeit der Schreiber<br />
aber durch besondere Zuwendungen der Parteien häufig nicht gegeben, 187 was dazu<br />
führte, dass in den Eidesformeln späterer Gerichtsordnungen die Vorschriften zur Unparteilichkeit<br />
und Geheimhaltungspflicht der Schriftstücke vielfach stark ausgeweitet<br />
wurden. In der Eidesformel der Gerichtsordnung der Stadt Rostock beispielsweise heißt<br />
es in dem betreffenden Abschnitt:<br />
Den Partheien [...] weder der Zeugen aussage (so noch nicht publiciret) noch was ich<br />
sonsten von Rathschlegen der sachen / auch vorfassung der Bescheide vnd Vrtheil (so<br />
noch vner=ff<strong>net</strong>) nicht offenbaren / keiner Partheien wider die andere rahten / oder<br />
dieselbe oder iren Procuratorn vber die gerichts Acten / Protocolla vnd Vrtheil bFcher<br />
ohne mein beisein vnd redliche vrsache gehen / noch etwas daraus abschreiben / oder<br />
sonst sich darin ersehen lassen / vnd denn auch kein geschenck nehmen / oder mir oder<br />
den meinen zu nutz nehmen lassen / Sondern mich an meiner in der Ordnung vor meine<br />
labores zugeeig<strong>net</strong>er Besoldung genFgen lassen. 188<br />
In den Hexenprozessen war die Unparteilichkeit der Schreiber zudem durch die starke<br />
finanzielle Abhängigkeit von ihren territorialen beziehungsweise lokalen Arbeitgebern<br />
eingeschränkt. So entschied beispielsweise in den Städten häufig der Rat, der auch für<br />
185 Angesichts der Missstände im Notariatswesen, die trotz der Reichsnotariatsordnung auch im 16. und<br />
17. Jahrhundert noch bestanden (vgl. den Abschnitt zur Reichsnotariatsordnung), stellt sich auch die<br />
Frage, inwieweit der Notarstitel alleine einen Schreiber überhaupt als besonders glaubwürdig und zuverlässig<br />
ausweisen konnte. Im 17. Jahrhundert wurden daher zunehmend Prüfungen durch die territorialen<br />
Gerichte oder Juristenfakultäten für die Notare gefordert (vgl. Lorenz 1982, 358).<br />
186 Schroeder 2000, 25 [Art. 5].<br />
187 Vgl. hierzu beispielsweise die Auflistung der Missstände im Notariatswesen (Anmerkung 134).<br />
188 Neue Gerichtsordnung der Stadt Rostock 1586, 13.