„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff 33<br />
denen sie befragt wird, und dies wiederholt und mit den leichteren beginnend, weil sie das<br />
Leichte schneller zugeben wird als das Schwere. Und währenddessen soll der Notar alles<br />
im Prozess[protokoll] aufschreiben: wie sie [peinlich] befragt und wonach sie befragt und<br />
was geantwortet wird. 155<br />
Auch in den Fällen, in denen Artikel 58 der Carolina in der gerichtlichen Praxis der Hexenverfolgungen<br />
beachtet worden ist, scheint dessen Wirksamkeit äußerst fragwürdig:<br />
So standen die Angeklagten auf der einen Seite sicher bei der Befragung noch unter<br />
dem Eindruck der direkt vorausgegangenen Folter. Auf der anderen Seite dürfte den<br />
Angeklagten in der Regel bewusst gewesen sein, dass ein erneutes Abstreiten der Vorwürfe<br />
zu einer Fortsetzung der Marter führte. Hinzu kamen auch noch Folterdrohungen,<br />
die etwa in Artikel 46 mit der Forderung, die Angeklagten sollten mit bedrohung der<br />
marter bespracht werden, ausdrücklich erlaubt wurden. 156 Aus den genannten Gründen<br />
konnte die nach Artikel 56 vorgeschriebene erneute Verlesung der Aussagen mit zeitlichem<br />
Abstand zur Folter wohl nur bedingt gegen Falschaussagen schützen:<br />
Item der gefangen soll auch zum minsten über den andern, oder mer tag nach der marter,<br />
vnnd seiner bekantnuß nach gutbeduncken des richters in die büttelstuben oder ander<br />
gemach für den bann richtet, vnnd zwen des gerichts gefürt, vnd jm sein bekentnuß durch<br />
den gerichtschreiber fürgelesen, und alsdann anderwerd darauff gefragt, ob sein<br />
bekantnuß wahr sei, vnnd was er dazu sagt auch auffgeschriben werden. 157<br />
Wie bei der Reichsnotariatsordnung stellt sich bei der Carolina angesichts der vorangestellten<br />
salvatorischen Klausel die Frage, inwieweit diese Verordnung von den Protokollführern<br />
in den Hexenprozessen als verbindlich betrachtet wurde. Dreisbach geht in<br />
seiner Untersuchung zum Einfluss der Carolina auf die norddeutschen Oberhöfe von<br />
einem „Abbau der diesem Gesetz eignenden Autorität im 17. Jahrhundert“ aus und<br />
macht dafür vor allem die „Einbrüche auf dem Sektor der religiösen Delikte [gemeint<br />
sind Zaubereiverfahren]“ im 16. Jahrhundert verantwortlich. 158 Der Bedeutungsverlust<br />
hängt daneben aber sicher in nicht unerheblichem Maß mit der zunehmenden Substituierung<br />
der Carolina durch territoriale und lokale Gerichtsordnungen zusammen.<br />
3.2.3 Territoriale und städtische Gerichtsordnungen<br />
Die territorialen und städtischen Gerichtsordnungen, die vor allem ab der zweiten Hälfte<br />
des 16. Jahrhundert in verstärktem Maße entstanden, waren in erster Linie auch Aus-<br />
155 Kramer 2004 [1486], 676. Auch in der zeitgenössischen juristischen Literatur finden sich immer wieder<br />
Abbildungen, die darstellen, wie Schreiber während der Folter Protokoll führen. Vgl. etwa die<br />
Abbildungen 345–349 bei Schild 1985, 163.<br />
156 Schroeder 2000, 45 [Art. 46].<br />
157 Ebd., 50/51 [Art. 56].<br />
158 Dreisbach 1969, 104.