„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Von Schreibern und Kanzleien 50<br />
ber bis auf eine Ausnahme aus dem mecklenburgisch-lübischen Raum kamen. 223 Diese<br />
enge räumliche Verbindung von Herkunft und späterem Arbeitsplatz der Schreiber kann<br />
nicht allein auf die persönliche Bindung der Schreiber an ihre Heimat zurückgeführt<br />
werden. Vielmehr muss auch die politische und sprachliche Ebene berücksichtigt werden:<br />
So wurden bei der Besetzung der einflussreichen Schreiberämter aus politischen<br />
Gründen vielfach „Landeskinder“ bevorzugt, wie es beispielsweise im Landrecht der<br />
Markgrafschaften Baden und Hochberg von 1622 ausdrücklich gefordert wird:<br />
Vnd demnach Vns sonderlich angelegen / vnsere liebe Landkinder zu solchen vnd andern<br />
Diensten / vor den Ausl(ndischen zubefFrdern. 224<br />
Daneben spielte sicher die Tatsache eine Rolle, dass viele Schreiber aus Patrizierfamilien<br />
stammten, 225 die ihren Einfluss vornehmlich bei der Besetzung von Stellen im regionalen<br />
Bereich geltend machen konnten. Auch sprachliche Aspekte dürfen nicht vernachlässigt<br />
werden: Hatte die zunehmende Vereinheitlichung der hochdeutschen Schriftsprache<br />
die Lage für die deutschen Schreiber grundsätzlich vereinfacht, ergab sich bei<br />
den Gerichtsschreibern das Problem, dass sie bei Verhören die oft stark landschaftlich<br />
geprägte Sprache der Angeklagten verstehen mussten. 226 Dies galt insbesondere im<br />
Norden, wo eine mediale Diglossie entstanden war: Während sich das Hochdeutsche als<br />
Schriftsprache durchgesetzt hatte, wurde das Niederdeutsche weiterhin als gesprochene<br />
Sprache beibehalten. Dadurch erhielten die Schreiber die anspruchsvolle Aufgabe, die<br />
niederdeutsche Rede der Angeklagten bei der schriftlichen Wiedergabe in die „Zielsprache<br />
Hochdeutsch“ zu übertragen. 227<br />
Insbesondere bei der Frage zur sozialen Stellung der Schreiber muss die jeweilige Position<br />
in der Kanzlei berücksichtigt werden: Während Substituten, Kopisten und andere<br />
mit Hilfsarbeiten betraute Kanzleiangestellte in vielen Orten sehr schlecht bezahlt wur-<br />
223 Dahl 1960, 39–46.<br />
224 Landrecht und Ordnung der Markgrafschaften Baden und Hochberg 1622, 34.<br />
225 Vgl. beispielsweise für den Südwesten Schuler 1976, 90 und zur Situation in Lüneburg Teske 1927,<br />
46–48.<br />
226 Macha (1991, 40) schreibt im Zusammenhang mit den Kölner Turmbüchern: „In einer Zeit, da eine<br />
überregionale Norm bestenfalls für die Schriftlichkeit Geltung beanspruchen konnte, war die Landschaftssprache<br />
das dominante mündliche Kommunikationsmittel. Dieses Faktum schließt nicht aus,<br />
daß einige, der modernen, überregionalen Sprache mächtige Personen auch von dieser Gebrauch gemacht<br />
haben – zumal in einer offiziellen, amtlichen Situation wie in einem Verhör –, die Regel war<br />
indes sicher der andere Fall.“ Zum Auftreten von landschaftlich geprägten Ausdrücken in den untersuchten<br />
Hexereiverhörprotokollen vgl. jeweils die Darstellung in den einleitenden Texten der Edition<br />
(Macha [et al.] 2005).<br />
227 Macha 1991, 40. Vgl. hierzu auch die ausführlichen Darstellungen bei Topalović 2003, 46–94 sowie<br />
bei Rösler 1997, 195–202.