„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff 44<br />
Demnach Erachten vnd Sprechen wihr darauf Recht, weil der notarius in dieser<br />
hochwichtigen Peinlichen sachen, welche menschen blut zu leib und leben angehett, den<br />
Jhm in vnserer vorigen responso deutlich genug vorgeschriebenen modum, das er All das<br />
Jenige was die <strong>gefangene</strong> vff die Articul vnd dan Jhrer Schwester Aussage wurde<br />
bekennen mit fleiße sollte vorzeichnen vnd nicht wie geschehen mit dem worte Die<br />
<strong>gefangene</strong> <strong>leugk<strong>net</strong></strong> alles beschrieben gar nicht observiert vnd bey diesem abermahl<br />
angestaltem Actu confrontationis mehr nicht wie hiebefohr von Jhm vorrichtet worden,<br />
Demnach mußen der <strong>gefangene</strong> articulatim vnd vmbstendlich alle vnd Jede Articul<br />
nochmaln vorgehalten, vnd was sie bey einem oder anderen beken<strong>net</strong> oder nicht gestehet<br />
mitt Jhren ausgeredeten worten beschrieben [werden]. 202<br />
Anhand dieser Belehrung wird zudem deutlich, dass die Zusammenfassung von Aussagen<br />
mit wertenden Formulierungen, wie die <strong>gefangene</strong> <strong>leugk<strong>net</strong></strong> alles, auch im 17. Jahrhundert<br />
durchaus als Abweichung von den Vorschriften zur Protokollführung begriffen<br />
wurde. Ebenso war den Juristen die besondere Bedeutung der Protokollführung im peinlichen<br />
Verfahren, welche[s] menschen blut zu leib und leben angehet, offenbar bewusst.<br />
Im Vergleich dazu scheinen jedoch die Konsequenzen, die die Fakultäten aus dem offensichtlichen<br />
Fehlverhalten der Schreiber zogen, nach heutigem Verständnis wenig<br />
angemessen: So wurden dieselben Gerichte, die bereits im ersten Verhör die offensichtlich<br />
falsche Protokollführung akzeptiert hatten, und teilweise sogar auch die Schreiber,<br />
die für die Fehler verantwortlich waren, einfach mit einer neuen Befragung beauftragt.<br />
Die Richtigkeit der Protokolle sollte auch in künftigen Verfahren lediglich durch eine<br />
Strafandrohung gewährleistet werden, deren konsequente Anwendung in der Praxis zumindest<br />
fragwürdig erscheint. Besonders wirkungslos erscheint diese Strafandrohung<br />
zudem, wenn man wie Lorenz die nicht angemessenen Protokolle auf Unfähigkeit zurückführt.<br />
203<br />
Auch die spätere Hinzuziehung eines vielleicht besser qualifizierten<br />
Schreibers oder Notars kann nach heutigem Rechtsverständnis kaum ein rechtmäßiges<br />
Verfahren garantieren, da die Angeklagten vielfach sicher noch unter dem Eindruck der<br />
peinlichen Befragung der vorhergehenden Verhöre standen. Grundsätzlich ergab sich<br />
außerdem das Problem, dass die Rechtsfakultäten und externen Rechtsgelehrten im Wesentlichen<br />
nur eine formale Prüfung der Protokolle vornehmen konnten, die zudem extra<br />
für die Versendung angefertigt wurden. Ob der Verfahrensablauf und die Aussagen<br />
der Angeklagten inhaltlich korrekt wiedergegeben waren, konnte dagegen nicht festgestellt<br />
werden, da die Fakultäten selber keine Befragungen der Angeklagten vornahmen.<br />
Um dieses Problem zu umgehen, verlangt beispielsweise die Greifswalder Juristenfakultät<br />
in dem bereits zitierten Spruch von 1587, dass die wordtliche aussage der Ange-<br />
202 Belehrung der Rostocker Fakultät, Nr. 34 im WS 1629/30, zit. n.: Lorenz 1982, 366f.<br />
203 Vgl. Lorenz 1982, 356.