17.11.2013 Aufrufe

„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net

„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net

„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Wiedergabeformen 90<br />

vielmehr die versuchte Täuschung, die ebenfalls als typisch für Hexen galt. 379 Das Zitat<br />

verdeutlicht zugleich, dass die Protokollierung nonverbalen Verhaltens schnell über die<br />

reine Beschreibung auf Grundlage der Sinneswahrnehmungen des Protokollführers hinausgeht.<br />

So stellt der Schreiber das Verhalten des Angeklagten nicht nur dar, wenn er<br />

ihr Weinen als simulieren einstuft und behauptet, es sei kein ernst da gewesen. Vielmehr<br />

nimmt er bereits eine weitgehende Deutung vor, die erhebliche juristische Auswirkungen<br />

hat. Es erscheint auch zweifelhaft, dass die explizite Vermerkung von Verhaltensweisen,<br />

die nicht erfolgt sind, den zeitgenössischen Idealvorstellungen von der<br />

Protokollführung gerecht wird:<br />

Auch ohne einige geflossene threnen od[er] weinen,<br />

bestendigklich vff dieser ersten aussage beharret,<br />

Sie wer Aller derer dinge, so ihr vorgehallt[en],<br />

vnschuldig, vnnd sey keine Millich diebin, 380<br />

Der Vorstellung einer an den Sinnen orientierten Protokollführung würde sicher eher<br />

die positive Beschreibung von Verhaltensweisen, die der Schreiber beobachtet hat, entsprechen.<br />

Durch die negative Formulierung ohne [...] weinen suggeriert der Protokollführer<br />

dagegen, dass genau an dieser Stelle normalerweise Weinen zu erwarten gewesen<br />

wäre und eben die explizite Erwähnung des Fehlens macht den Angeklagten verdächtig.<br />

Die fehlende Fähigkeit zu weinen spielte in den Prozessen als Indiz für die Schuld offenbar<br />

eine wichtige Rolle. So wird in den Protokollen immer wieder dokumentiert, wie<br />

Angeklagte ausdrücklich darauf beharren, dass sie weinen können:<br />

Sagte wan sie im stüblin<br />

lige, weine sie seer, maßen es die<br />

wächter von Iro gesehen, darüber die<br />

wächter befragt betheuren bede, daß<br />

sie sye niemahlen sehen wainen. 381<br />

Anders als das „echte“ Weinen hat in den untersuchten Protokollen verzeich<strong>net</strong>e Lachen<br />

eher einen negativen Charakter im Sinne eines Auslachens, eines nicht Ernstnehmens,<br />

der Justiz. So heißt es beispielsweise im Protokoll aus Rosenfeld von 1603:<br />

hat Er solches lang nicht glauben wollen,<br />

auch nur, wie sonsten bey Allen fragen<br />

beschehen, darzu gelachet, auch bestendig<br />

379 Im Hexenhammer werden etwa die Gerichtsangehörigen vor vorgetäuschtem Weinen gewarnt: Sie<br />

[die Hexe] wird freilich weinerliche Laute von sich geben und versuchen, Wangen und Augen mit<br />

Speichel zu be<strong>net</strong>zen, wie wenn sie weinte, bezüglich dessen die anwesenden genau aufpassen müssen<br />

(Kramer 2004 [1486], 679).<br />

380 Macha [et al.] 2005, 291.<br />

381 Ebd., 379.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!