„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff 21<br />
III Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff<br />
1. Textsorte Verhörprotokoll<br />
Abstrakt formuliert wird heute unter der Anfertigung von Protokollen verstanden, „nach<br />
festgelegten Selektionskriterien ausgewählte Ereignisse in schriftliche und verbindliche<br />
Form zu überführen.“ 96 Im Bereich der Justiz sind dies in der Regel mündliche Aussagen,<br />
die in Form von Vernehmungsprotokollen in die schriftliche und damit juristisch<br />
verwertbare Form überführt werden. 97 Man muss heute von einer weitgehend homogenen<br />
Textsorte „Vernehmungsprotokoll“ ausgehen, da die Anforderungen an Form und<br />
Inhalt gesetzlich sehr detailliert festgelegt sind 98 und die Protokollführer an Strafgerichten<br />
in der Regel eine zweijährige Ausbildungs- und Vorbereitungszeit absolvieren müssen.<br />
99 Die Normierung wird zudem durch Vordrucke beziehungsweise Textbausteine<br />
für Textverarbeitungsprogramme noch weiter verstärkt. 100<br />
Im Gegensatz dazu muss die Vorstellung von einer weitgehend homogenen Textsorte<br />
„Verhörprotokoll“ in der Frühen Neuzeit als durchaus problematisch angesehen werden.<br />
101 So haben insbesondere die Untersuchungen von Topalović gezeigt, dass unter<br />
dem Oberbegriff „Verhörprotokolle“ Texte von unterschiedlichen Institutionen an unterschiedliche<br />
Adressaten zusammengefasst werden. 102 Allein dadurch sind erhebliche<br />
Unterschiede in formaler und sprachlicher Gestaltung zu erwarten. Darüber hinaus unterscheiden<br />
sich die Verhörprotokolle aber oft auch in ihrem Bearbeitungsstadium und<br />
ihrer Funktion. 103 Bearbeitungsstadien können beispielsweise Mitschrift, Reinschrift<br />
96<br />
Niehaus/Schmidt-Hannisa 2005, 7.<br />
97<br />
Der Begriff „Verhörprotokoll“ wurde im deutschen Recht in allen Bereichen durch den Begriff des<br />
„Vernehmungsprotokolls“ ersetzt. Vgl. hierzu auch die weiterführenden Überlegungen bei Topalović<br />
2003, 97–101.<br />
98<br />
Die grundlegenden Bestimmungen zur Protokollierung richterlicher Untersuchungshandlungen enthalten<br />
die §§ 168 und 168a der StPO (vgl. Rieß 2004, 381–411). Weitergehende Vorschriften zur Protokollierung<br />
der Hauptverhandlung in Strafsachen sind in den §§ 271-274 StPO verzeich<strong>net</strong>.<br />
99<br />
Genauere Erläuterungen zu den Voraussetzungen des Protokolldienstes geben beispielsweise Hendrix/Reiss<br />
2000, 5.<br />
100 Vgl. beispielsweise Hendrix/Reiss, die zahlreiche Vordrucke zur „Protokollführung in der Hauptverhandlung<br />
der Strafgerichte“ zur Verfügung stellen (ebd. 2000, 83–92).<br />
101 Von einer frühneuzeitlichen „Textsorte Verhörsprotokoll“ spricht beispielsweise Rösler im Zusammenhang<br />
mit ihrer Untersuchung der Mecklenburger Hexereiverhörprotokolle (ebd. 1997, 194).<br />
102 Vgl. Topalović 2003, 95–112. A. Mihm stellt in ähnlicher Weise in seiner Untersuchung zur Textsorte<br />
Gerichtsprotokoll die Bedeutung der verschiedenen Institutionen für die Ausprägungen der Texte heraus<br />
(vgl. ebd. 1995, 26–37).<br />
103 Vgl. Topalović 2003, 124–148.