„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Zum frühneuzeitlichen Protokollbegriff 30<br />
durch die salvatorische Formel in der Vorrede zur Carolina – die Abweichung von der<br />
Ordnung durch die Anwendung gemeiner Rechten oder l=eblicher Gewohnheit und Gebrauch<br />
eines jeden Orts bereits in § 1 ausdrücklich erlaubt. 143 Damit konnten auf der<br />
einen Seite lokale Gerichts- und Rechtstraditionen weiterhin angewendet werden, auf<br />
der anderen Seite sich aber ebenso die vor allem im 16. Jahrhundert entstehenden territorialen<br />
und lokalen Gerichtsordnungen etablieren. Im Zweifel orientierten sich die Notare<br />
sicher eher an den Traditionen und Gerichtsordnungen ihrer territorialen oder lokalen<br />
Arbeitgeber, zumal sie von diesen finanziell abhängig waren. 144 Für die Hexenprozesse<br />
kam noch hinzu, dass viele Notare die normalen Verfahrensvorschriften sicher<br />
entsprechend der Vorstellung vom crimen exceptum nur für beschränkt anwendbar hielten.<br />
3.2.2 Carolina<br />
Mit der Verabschiedung der reichsweit gültigen Carolina sollten – wie im ersten Kapitel<br />
dargestellt – vor allem die Auswüchse des Geständnisprozesses durch eine Indizienlehre<br />
begrenzt werden. Die Bestimmungen zur Protokollführung, die die Carolina entsprechend<br />
ihres Charakters als Prozessordnung enthält, sind vor allem in den Artikeln 181<br />
bis 189 dargelegt. In Artikel 189 heißt es zusammenfassend:<br />
Vnd soll die beschreibung aller obberürten handlung, sie geschehe von ampts wegen oder<br />
auff ankläger, durch eynen jeden gerichtschreiber der peinlichen gericht, vorgemelter<br />
massen, gar fleissig vnd vnderschiedlich nacheynander vnd libels weiß geschrieben<br />
werden, vnd alweg bei jeder handlung, wann die geschehen ist, jar, tag, vnd stund, auch<br />
wer dabei gewest sei, melden, darzu soll sich der schreiber selbst, auch wie obsteht<br />
dermassen vnderschreiben, daß er solchs alles gehört vnd geschriben hab, damit auff<br />
solch formliche gründtliche beschreibung stattlich vnd sicherlich geurtheylt, oder wo es<br />
nott thun würde, darauß nach aller notturfft geradtschlagt werden möge, inn solchem<br />
allem soll eyn jeder gerichtschreiber bei seiner pflicht als vorsteht, allen möglichen fleiß<br />
thun, auch was gehandelt ist inn geheym halten, vnnd des alles nach laut seiner pflicht<br />
verbunden sein. Vnd soll solch gerichtsbuch, oder libel alweg nach endung des gerichts<br />
tag beschlossen vnd verwart gehalten werden. 145<br />
Das Zitat zeigt, dass die Vorschriften zur Protokollführung in wesentlichen Teilen denen<br />
der Reichsnotariatsordnung entsprechen. Während in der Reichsnotariatsordnung<br />
allerdings leicht überhöhend vom ewigen Ged(chtniß gesprochen wird, das mittels der<br />
143 Reichsabschiede II 1967 [1747], 153.<br />
144 In verschiedenen territorialen und lokalen Gerichtsordnungen beinhaltet der Eid der Schreiber ausdrücklich<br />
die Anwendung des territorialen Rechts. So heißt es etwa in der Nassauischen Gerichts- und<br />
Landordnung (1616, 47): Ich N. gelob vnd schwere zu Gott dem Allmechtigen / Daß ich [...] alles das<br />
jenige thun und leisten w=lle [...] so von Rechts: als Gewonheit wegen / vnd insonderheit / in krafft<br />
meines gnedigen Herrns Gerichtsordnung / gebFret vnd wol ansteht.<br />
145 Schroeder 2000, 111 [Art. 189].