„Die gefangene leugknet alles“ - Historicum.net
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Von Schreibern und Kanzleien 59<br />
sichts dieser Tatsachen gestaltet sich die Einordnung zeitgenössischer Bewertungen des<br />
Kanzleistils als schwierig, da häufig unklar ist, auf welche Kanzlei, Region sowie Texttyp<br />
und Ebene der Schriftlichkeit (Urkunde, Protokoll, Brief usw.) sie sich beziehen. 267<br />
Darüber hinaus können Ergebnisse von Studien zur Kanzleisprache nur als bedingt ü-<br />
bertragbar betrachtet werden, da sie häufig auf der Grundlage von Quellenmaterial unterschiedlicher<br />
Ebenen der Schriftlichkeit sowie aus verschiedenen Regionen argumentieren.<br />
Dies liegt wiederum im Wesentlichen darin begründet, dass der Begriff Kanzleisprache<br />
sich „am Texterzeuger orientiert[ ]“ 268 und daher verschiedene Textsorten einschließt.<br />
Es hat sich jedoch zugleich gezeigt, dass einige Elemente der Kanzleisprache im 16.<br />
und 17. Jahrhundert weitgehend unabhängig von Textsorte und regionaler Herkunft der<br />
Texte auftreten (beispielsweise die Verwendung afiniter Konstruktionen). 269 In der folgenden<br />
Untersuchung soll am Textkorpus festgestellt werden, ob und in welchem Maße<br />
solche Elemente der Kanzleisprache auch in den Hexereiverhörprotokollen auftreten.<br />
Dabei werden die Befunde sowohl in Bezug zu den erarbeiteten Entstehungsbedingungen<br />
der Protokolle als auch zu verbreiteten sprachhistorischen Thesen gesetzt.<br />
2.2 Einzelne Aspekte der Kanzleisprache<br />
2.2.1 Lateinverwendung<br />
Anders als es zeitgenössische Kritiker glauben machten, die vor einer Überfremdung<br />
der deutschen durch die lateinische Sprache warnten, 270 liegt der Anteil lateinischer<br />
Fremd- und Lehnwörter in den untersuchten Hexereiverhörprotokollen nur zwischen 0,3<br />
So heißt es bei Adelung 1783: Kanzelley-styl [...] hat seinen nahmen von den kanzelleyen oder denjenigen<br />
obrigkeitlichen anstalten, wo allgemeine angelegenheiten schriftlich ausgefertigt werden. er<br />
theilt sich in zwey verschiedene unterarten, in den hof- und gerichts-styl (ebd. 1783, II St. 1 127, zit.<br />
n. DRWB 1983, 214) und Sonnenfels schreibt 1785: Jede [deutsche provinz] hat ihre eigenen gattungen<br />
von geschaeftsaufsaetzen, oder wie man es zu nennen pflegt, ihren eigenen kurial-, kanzleystil<br />
(Sonnenfels 1785, 5, zit. n. DRWB 1983, 214).<br />
267 Grundsätzlich lässt sich aber feststellen, dass sich die im 16. Jahrhundert oft positive Wahrnehmung<br />
der Kanzleisprache – am häufigsten zitiert wird in diesem Zusammenhang sicher Opitz’ Behauptung,<br />
dass die Canzelleyen [...] die rechten lehrerinn der reinen sprache seien (Opitz 1902 [1624], 38, zit.<br />
n.: Macha 1991, 61) – zunehmend verändert. Vor allem in Quellen aus dem 18. Jahrhundert finden<br />
sich dann auch oft negative Bemerkungen zur Kanzleisprache. So heißt es beispielsweise bei Adelung<br />
1775: Der kanzelley-styl [... ist] die weitschweifige aus der oberdeutschen mundart entlehnte<br />
schreibart der meisten, auch hoch- und niederdeutschen kanzelleyen (ebd. 1775, II 1498, zit. n.:<br />
DRWB 1983, 214). Krünitz kritisiert 1785 dagegen vor allem, dass die Kanzleisprache wenig zeitgemäß<br />
sei: Der kanzelley-styl ist ein gewebe von seltsamen und veralteten ausdruecken und redensarten<br />
(ebd. 1785, 34, 521 zit. n.: DRWB 1983, 214).<br />
268 Bentzinger 2000, 1665.<br />
269 Vgl. beispielsweise Macha 2003c, 25–36.<br />
270 Vgl. Macha 1991, 55.