13.07.2015 Aufrufe

Bd 7 Vorträge und Aufsätze - gesamtausgabe

Bd 7 Vorträge und Aufsätze - gesamtausgabe

Bd 7 Vorträge und Aufsätze - gesamtausgabe

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

112 Wer ist Nietzsches Zarathustra?Geschädigtseins umgetrieben. In den Jahren, da Nietzsche seinWerk »Also sprach Zarathustra« schuf, schrieb er die Bemerkung:»Ich empfehle allen Märtyrern zu überlegen, ob nicht die Rachsuchtsie zum Äußersten trieb.« (XII 3 , 298).Was ist Rache? Wir können jetzt vorläufig sagen: Rache ist daswidersetzliche, herabsetzende Nachstellen. Und dieses Nachstellensoll alles bisherige Nachdenken, das bisherige Vorstellen desSeienden hinsichtlich seines Seins tragen <strong>und</strong> durchziehen?Wenn dem Geist der Rache die genannte metaphysische Tragweitezukommt, muß sie sich aus der Verfassung der Metaphysikersehen lassen. Damit uns diese Sicht einigermaßen gelingt, achtenwir darauf, in welcher Wesensprägung das Sein des Seiendeninnerhalb der neuzeitlichen Metaphysik erscheint. Diese Wesensprägungdes Seins kommt in einer klassischen Form durch wenigeSätze zur Sprache, die Schelling in seinen »PhilosophischenUntersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit <strong>und</strong>die damit zusammenhängenden Gegenstände« 1809 niedergelegthat. Die drei Sätze lauten:»— Es giebt in der letzten <strong>und</strong> höchsten Instanz gar kein andresSeyn als Wollen. Wollen ist Urseyn <strong>und</strong> auf dieses (das Wollen)allein passen alle Prädikate desselben (des Urseyns): Gr<strong>und</strong>losigkeit,Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung. Dieganze Philosophie strebt nur dahin, diesen höchsten Ausdruck zufinden.« (F. W. J. Schellings philosophische Schriften, 1. <strong>Bd</strong>.,Landshut 1809, S. 419).Schelling findet die Prädikate, die das Denken der Metaphysikvon altersher dem Sein zuspricht, nach ihrer letzten <strong>und</strong> höchsten<strong>und</strong> somit vollendeten Gestalt im Wollen. Der Wille dieses Wol-110 lens ist hier jedoch nicht als Vermögen der menschlichen Seelegemeint. Das Wort »Wollen« nennt hier das Sein des Seienden imGanzen. Dieses ist Wille. Das klingt uns befremdlich <strong>und</strong> ist esauch, solange uns die tragenden Gedanken der abendländischenMetaphysik fremd bleiben. Dies bleiben sie, solange wir dieseGedanken nicht denken, sondern nur immer über sie berichten.Man kann z. B. die Aussagen von Leibniz über das Sein des Seien-Wer ist Nietzsches Zarathustra? 113den historisch genau feststellen, ohne das Geringste von dem zudenken, was er dachte, als er das Sein des Seienden von der Monadeaus als die Einheit von perceptio <strong>und</strong> appetitus, als Einheitvon Vorstellen <strong>und</strong> Anstreben, d.h. als Wille bestimmte. WasLeibniz denkt, kommt durch Kant <strong>und</strong> Fichte als der Vernunftwillezur Sprache, dem Hegel <strong>und</strong> Schelling, jeder auf seine Weise,nachdenken. Das Selbe meint Schopenhauer, wenn er seinemHauptwerk den Titel gibt: »Die Welt (nicht der Mensch) als Wille<strong>und</strong> Vorstellung.« Das Selbe denkt Nietzsche, wenn er das Urseindes Seienden als Wille zur Macht erkennt.Daß hier überall das Sein des Seienden durchgängig als Willeerscheint, beruht nicht auf Ansichten, die sich einige Philosophenüber das Seiende zurechtlegen. Was dieses Erscheinen desSeins als Wille heißt, wird keine Gelehrsamkeit je ausfindig machen;es läßt sich nur im Denken erfragen, als zu-Denkendes inseiner Fragwürdigkeit würdigen <strong>und</strong> so als Gedachtes im Gedächtnisbewahren.Das Sein des Seienden erscheint für die neuzeitliche Metaphysik<strong>und</strong> durch sie eigens ausgesprochen als Wille. Der Menschaber ist Mensch, insofern er sich denkend zum Seienden verhält<strong>und</strong> so im Sein gehalten wird. Das Denken muß mit in seinemeigenen Wesen dem entsprechen, wozu es sich verhält, zum Seindes Seienden als Wille.Nun ist nach Nietzsches Wort das bisherige Denken durch denGeist der Rache bestimmt. Wie denkt also Nietzsche das Wesender Rache, gesetzt, daß er es metaphysisch denkt?Im zweiten Teil von »Also sprach Zarathustra«, in dem schon 111genannten Stück »Von der Erlösung«, läßt Nietzsche seinen Zarathustrasagen:»Dies, ja dies allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegendie Zeit <strong>und</strong> ihr ,Es war'.«Daß eine Wesensbestimmung der Rache auf das Widerwärtige<strong>und</strong> Widersetzliche in ihr <strong>und</strong> somit auf einen Widerwillen abhebt,entspricht dem eigentümlichen Nachstellen, als welches wirdie Rache kennzeichneten. Aber Nietzsche sagt nicht bloß: Rache

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!