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Bd 7 Vorträge und Aufsätze - gesamtausgabe

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118 Wer ist Nietzsches Zarathustra?So lautet denn die früher mit Absicht nur teilsweise angeführteStelle aus dem Stück »Der Genesende« n. 1:»Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecherdes Leidens, der Fürsprecher des Kreises — dich rufe ich, meinenab gründlichsten Gedanken!«Mit dem selben Wort benennt Zarathustra den Gedanken derewigen Wiederkehr des Gleichen in dem Stück des III. Teiles»Vom Gesicht <strong>und</strong> Rätsel« n. 2. Dort versucht Zarathustra zumersten Male in der Auseinandersetzung mit dem Zwerg dasRätselvolle dessen zu denken, was er sieht als das, dem seineSehnsucht gilt. Die ewige Wiederkehr des Gleichen bleibt fürZarathustra Gesicht zwar, aber Rätsel. Sie läßt sich logisch oderempirisch weder beweisen noch widerlegen. Im Gr<strong>und</strong>e gilt diesvon jedem wesentlichen Gedanken jedes Denkers: Gesichtetes,aber Rätsel — frag-würdig.116 Wer ist Nietzsches Zarathustra? Wir können jetzt formelhaftantworten: Zarathustra ist der Lehrer der ewigen Wiederkunftdes Gleichen <strong>und</strong> der Lehrer des Übermenschen. Aber jetzt sehenwir, sehen vielleicht auch wir über die bloße Formel hinaus deutlicher:Zarathustra ist nicht ein Lehrer, der zweierlei <strong>und</strong> verschiedeneslehrt. Zarathustra lehrt den Übermenschen, weil erder Lehrer der ewigen Wiederkunft des Gleichen ist. Aber auchumgekehrt: Zarathustra lehrt die ewige Wiederkunft des Gleichen,weil er der Lehrer des Übermenschen ist. Beide Lehren gehörenin einem Kreis zusammen. Durch ihr Kreisen entsprichtdie Lehre dem, was ist, dem Kreis, der als ewige Wiederkehr desGleichen das Sein des Seienden, d. h. das Bleibende im Werdenausmacht.In dieses Kreisen gelangt die Lehre <strong>und</strong> ihr Denken, wenn sieüber die Brücke geht, die heißt: Erlösung vom Geist der Rache.Dadurch soll das bisherige Denken überw<strong>und</strong>en werden.Aus der Zeit unmittelbar nach der Vollendung des Werkes»Also sprach Zarathustra«, aus dem Jahr 1885, stammt eine Aufzeichnung,die als n. 617 in das Buch aufgenommen ist, das manaus dem Nachlaß Nietzsches zusammengestoppelt <strong>und</strong> unter demWer ist Nietzsches Zarathustra? 119Titel »Der Wille zur Macht« veröffentlicht hat. Die Aufzeichnungträgt die unterstrichene Überschrift: »Recapitulation«.Nietzsche versammelt hier die Hauptsache seines Denkens auseiner ungewöhnlichen Hellsicht in wenige Sätze zusammen. Ineiner eingeklammerten Nebenbemerkung des Textes wird eigensZarathustra genannt. Die »Recapitulation« beginnt mit demSatz: »Dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen — dasist der höchste Wille zur Macht.«Der höchste Wille zur Macht, d. h. das Lebendigste allesLebens ist es, das Vergehen als ständiges Werden in der ewigenWiederkehr des Gleichen vorzustellen <strong>und</strong> es so ständig <strong>und</strong> beständigzu machen. Dieses Vorstellen ist ein Denken, das, wieNietzsche in betonter Weise vermerkt, dem Seienden den Charakterseines Seins »aufprägt«. Dieses Denken nimmt das Wer- 117den, zu dem ein ständiges Sichstoßen, das Leiden, gehört, in seineObhut, unter seine Protektion.Ist durch dieses Denken das bisherige Nachdenken, ist derGeist der Rache überw<strong>und</strong>en? Oder verbirgt sich in diesem Aufprägen,das alles Werden in die Obhut der ewigen Wiederkehrdes Gleichen nimmt, nicht doch <strong>und</strong> auch noch ein Widerwillegegen das bloße Vergehen <strong>und</strong> somit ein höchst vergeistigterGeist der Rache?Sobald wir diese Frage stellen, macht sich der Anschein breit,als versuchten wir, Nietzsche dasjenige als sein Eigenstes vorzurechnen,was er gerade überwinden will, als hegten wir die Meinung,durch eine solche Rechnung sei das Denken dieses Denkerswiderlegt.Die Geschäftigkeit des Widerlegenwollens gelangt aber nie aufden Weg eines Denkers. Sie gehört in jene Kleingeisterei, derenAuslassungen die Öffentlichkeit zu ihrer Unterhaltung bedarf.Überdies hat Nietzsche selbst die Antwort auf unsere Frage längstvorweggenommen. Die Schrift, die dem Buch »Also sprach Zarathustra«unmittelbar voraufgeht, erschien 1882 unter dem Titel»Die fröhliche Wissenschaft«. In ihrem vorletzten Stück n. 541wird Nietzsches »abgründlichster Gedanke« unter der Überschrift

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