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Bd 7 Vorträge und Aufsätze - gesamtausgabe

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206 »...dichterisch wohnet der Mensch...«nämlich als die Maß-Nahme für alles Messen. Sie ist selber daseigentliche Vermessen, kein bloßes Abmessen mit fertigen Maßstäbenzur Verfertigung von Plänen. Das Dichten ist darum auchkein Bauen im Sinne des Errichtens <strong>und</strong> Einrichtens von Bauten.Aber das Dichten ist als das eigentliche Ermessen der Dimensiondes Wohnens das anfängliche Bauen. Das Dichten läßt das Wohnendes Menschen allererst in sein Wesen ein. Das Dichten ist dasursprüngliche Wohnenlassen.Der Satz: Der Mensch wohnt, insofern er baut, hat jetzt seineneigentlichen Sinn erhalten. Der Mensch wohnt nicht, insofern erseinen Aufenthalt auf der Erde unter dem Himmel nur einrichtet,indem er als Bauer das Wachstum pflegt <strong>und</strong> zugleich Bautenerrichtet. Dieses Bauen vermag der Mensch nur, wenn er schonbaut im Sinne der dichtenden Maß-Nahme. Das eigentliche Bauengeschieht, insofern Dichter sind, solche, die das Maß nehmenfür die Architektonik, für das Baugefüge des Wohnens.Hölderlin schreibt am 12. März 1804 aus Nürtingen an seinenFre<strong>und</strong> Leo v. Seckendorf: »Die Fabel, poetische Ansicht der Geschichte<strong>und</strong> Architektonik des Himmels beschäfftiget mich gegenwärtigvorzüglich, besonders das Nationelle, sofern es vondem Griechischen verschieden ist.« (Hellingrath V 2 , S. 335)»... dichterisch, wohnet der Mensch ...«Das Dichten erbaut das Wesen des Wohnens. Dichten <strong>und</strong> Wohnenschließen sich nicht nur nicht aus. Dichten <strong>und</strong> Wohnen gehörenvielmehr, wechselweise einander fordernd, zusammen.»Dichterisch wohnet der Mensch.« Wohnen wir dichterisch? Vermutlichwohnen wir durchaus <strong>und</strong>ichterisch. Wird, wenn es sosteht, das Wort des Dichters dadurch Lügen gestraft <strong>und</strong> unwahr?197 Nein. Die Wahrheit seines Wortes wird auf die unheimlichsteWeise bestätigt. Denn <strong>und</strong>ichterisch kann ein Wohnen nur sein,weil das Wohnen im Wesen dichterisch ist. Damit ein Menschblind sein kann, muß er seinem Wesen nach ein Sehender bleiben.Ein Stück Holz kann niemals erblinden. Wenn aber der»... dichterisch wohnet der Mensch...« 207Mensch blind wird, dann ist immer noch die Frage, ob die Blindheitaus einem Mangel <strong>und</strong> Verlust kommt oder ob sie in einemÜberfluß <strong>und</strong> Übermaß beruht. Hölderlin sagt im selben Gedicht,das dem Maß für alles Messen nachsinnt (Vers 75/76):»Der König Oedipus hat ein Auge zuviel vieleicht.« So könnte essein, daß unser <strong>und</strong>ichterisches Wohnen, sein Unvermögen, dasMaß zu nehmen, aus einem seltsamen Übermaß eines rasendenMessens <strong>und</strong> Bechnens käme.Daß wir <strong>und</strong> inwiefern wir <strong>und</strong>ichterisch wohnen, können wirin jedem Falle nur erfahren, wenn wir das Dichterische wissen.Ob uns <strong>und</strong> wann uns eine Wende des <strong>und</strong>ichterischen Wohnenstrifft, dürfen wir nur erwarten, wenn wir das Dichterische in derAcht behalten. Wie unser Tun <strong>und</strong> Lassen <strong>und</strong> inwieweit es einenAnteil an dieser Wende haben kann, bewähren nur wir selbst,wenn wir das Dichterische ernst nehmen.Das Dichten ist das Gr<strong>und</strong>vermögen des menschlichen Wohnens.Aber der Mensch vermag das Dichten jeweils nur nach demMaße, wie sein Wesen dem vereignet ist, was selber den Menschenmag <strong>und</strong> darum sein Wesen braucht. Je nach dem Maß dieserVereignung ist das Dichten eigentlich oder uneigentlich.Darum ereignet sich das eigentliche Dichten auch nicht zu jederZeit. Wann <strong>und</strong> wie lange ist das eigentliche Dichten?Hölderlin sagt es in den bereits gelesenen Versen (26/29). IhreErläuterung wurde bis jetzt absichtlich zurückgestellt. Die Verselauten:»... So lange die Fre<strong>und</strong>lichkeit nochArn Herzen, die Beine, dauert, missetNicht unglüklich der Mensch sichMit der Gottheit... «»Die Fre<strong>und</strong>lichkeit« — was ist dies? Ein harmloses Wort, abervon Hölderlin mit dem großgeschriebenen Beiwort »die Reine«genannt. »Die Fre<strong>und</strong>lichkeit« — dieses Wort ist, wenn wir eswörtlich nehmen, Hölderlins herrliche Übersetzung für das grie-198

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