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Bd 7 Vorträge und Aufsätze - gesamtausgabe

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192 »... dichterisch wohnet der Mensch...«Wenn nun aber die Dichtung zum voraus ihre einzige Existenzformim Literarischen hat, wie soll da menschliches Wohnenauf das Dichterische gegründet werden? Das Wort, derMensch wohne dichterisch, stammt denn auch nur von einemDichter <strong>und</strong> zwar von jenem, der, wie man hört, mit dem Lebennicht fertig wurde. Die Art der Dichter ist es, das Wirkliche zuübersehen. Statt zu wirken, träumen sie. Was sie machen, ist nureingebildet. Einbildungen sind lediglich gemacht. Mache heißtgriechisch Ποίησις. Das Wohnen des Menschen soll Poesie <strong>und</strong>poetisch sein? Dies kann doch nur annehmen, wer abseits vomWirklichen steht <strong>und</strong> nicht sehen will, in welchem Zustand dasheutige geschichtlich-gesellschaftliche Leben der Menschen -die Soziologen nennen es das Kollektiv c— sich befindet.».,.dichterisch wohnet der Mensch...« 193ner Reise <strong>und</strong> wohnen dabei bald hier, bald dort. Das so gemeinteWohnen ist stets nur das Innehaben einer Unterkunft.Wenn Hölderlin vom Wohnen spricht, schaut er den Gr<strong>und</strong>zugdes menschlichen Daseins. Das »Dichterische« aber erblickt eraus dem Verhältnis zu diesem wesentlich verstandenen Wohnen.Dies bedeutet freilich nicht, das Dichterische sei nur eine Verzierung<strong>und</strong> eine Zugabe zum Wohnen. Das Dichterische desWohnens meint auch nicht nur, das Dichterische komme auf irgendeineWeise bei allem Wohnen vor. Vielmehr sagt das Wort:»...dichterisch wohnet der Mensch...«: das Dichten läßt dasWohnen allererst ein Wohnen sein. Dichten ist das eigentlicheWohnenlassen. Allein, wodurch gelangen wir zu einer Wohnung?Durch das Bauen. Dichten ist, als Wohnenlassen, ein Bauen.So stehen wir vor einer doppelten Zumutung: einmal das, wasman die Existenz des Menschen nennt, aus dem Wesen des Wohnenszu denken; zum anderen das Wesen des Dichtens als Wohnenlassend , als ein, vielleicht sogar als das ausgezeichnete Bauenzu denken. Suchen wir das Wesen der Dichtung nach der jetztgenannten Hinsicht, dann gelangen wir in das Wesen des Wohnens.Allein, woher haben wir Menschen die Auskunft über das Wesendes Wohnens <strong>und</strong> des Dichtens? Woher nimmt der Menschüberhaupt den Anspruch, in das Wesen einer Sache zu gelangen?Der Mensch kann diesen Anspruch nur dorther nehmen, von woherer ihn empfängt. Er empfängt ihn aus dem Zuspruch derSprache. Freilich nur dann, wenn er <strong>und</strong> solange er das eigeneWesen der Sprache schon achtet. Indessen rast ein zügelloses, aber 184zugleich gewandtes Reden <strong>und</strong> Schreiben <strong>und</strong> Senden von Gesprochenemrings um den Erdball. Der Mensch gebärdet sich, alssei er Bildner <strong>und</strong> Meister der Sprache, während doch sie die Herrindes Menschen bleibt. Wenn dieses Herrschaftsverhältnis sichumkehrt, dann verfällt der Mensch auf seltsame Machenschaften.Die Sprache wird zum Mittel des Ausdrucks. Als Ausdruck kannDoch ehe wir in so grober Weise Wohnen <strong>und</strong> Dichten für unvereinbarerklären, mag es gut sein, nüchtern auf das Wort desDichters zu achten. Es spricht vom Wohnen des Menschen. Esbeschreibt nicht Zustände des heutigen Wohnens. Es behauptetvor allem nicht, Wohnen bedeute das Innehaben einer Wohnung.Es sagt auch nicht, das Dichterische erschöpfe sich im unwirklichenSpiel der poetischen Einbildungskraft. Wer also unter denNachdenklichen möchte sich dann anmaßen, bedenkenlos <strong>und</strong>von einer etwas fragwürdigen Höhe herab zu erklären, das Wohnen<strong>und</strong> das Dichterische seien unverträglich? Vielleicht vertragensich beide. Mehr noch. Vielleicht trägt sogar das eine das andere,so nämlich, daß dieses, das Wohnen, in jenem, dem Dichterischen,beruht. Wenn wir freilich solches vermuten, dann ist unszugemutet, das Wohnen <strong>und</strong> das Dichten aus ihrem Wesen zu183 denken. Sperren wir uns gegen diese Zumutung nicht, dann denkenwir das, was man sonst die Existenz des Menschen nennt, ausdem Wohnen. Damit lassen wir allerdings die gewöhnliche Vorstellungvom Wohnen fahren. Nach ihr bleibt das Wohnen nureine Verhaltungsweise des Menschen neben vielen anderen. Wirarbeiten in der Stadt, wohnen jedoch außerhalb. Wir sind auf eidieIndustriegesellschaftd vgl. dazu Johann Peter Hebel, Der Hausfre<strong>und</strong> - [in: GA <strong>Bd</strong>. 13]

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