B E D A R F S O R I E N T I E R T E M I N D E S T S I C H E R U N G1.1.2. Gr<strong>und</strong>züge <strong>und</strong> Ziele der österreichischen ArbeitsmarktpolitikDa Erwerbstätigkeit <strong>in</strong> der Regel mit der <strong>in</strong>dividuellen Existenzsicherung <strong>und</strong> deren sozialen Absicherunge<strong>in</strong>hergeht, wirkt sich der Wandel des Arbeitsmarktes auf beide Bereiche aus. Der steigendeAnteil der prekären Beschäftigungsverhältnisse <strong>und</strong> der Teilzeitarbeit haben zur Folge, dassviele Personen – im Falle e<strong>in</strong>er späteren Arbeitslosigkeit oder Krankheit – ke<strong>in</strong>e oder nur ger<strong>in</strong>geAnsprüche aus dem ersten Sicherungsnetz haben <strong>und</strong> damit unweigerlich <strong>in</strong> die Bedürftigkeit abrutschen.12 Der steigende Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Sozial hilfe bedürftigkeitist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das erste soziale Sicherungsnetz, <strong>in</strong>sbesondere dieSozialversicherung, aufgr<strong>und</strong> der wachsenden Anforderungen am Arbeitsmarkt <strong>und</strong> der sichschnell wandelnden Umstrukturierung der Gesellschaft, immer mehr Schwachstellen aufweist. 13Die staatliche Sicherung kann zwar <strong>in</strong>dividuelle Risiken, wie Krankheit, Arbeitslosigkeit etc., nichtbeseitigen, es wird aber versucht im Falle des E<strong>in</strong>tretens die daraus resultierenden Folgen zum<strong>in</strong>imieren. Je nach Wohlfahrtsstaatstypus basiert diese Risikoabsicherung auf unterschiedlicheWeise. Das österreichische soziale Sicherungssystem gilt <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> der Sozialpolitikviel beachteten Typologie von Wohlfahrtsstaaten, nämlich jener der drei „welfareregimes“von Esp<strong>in</strong>g-Andersen, als Prototyp des Bismarckschen bzw. konservativ-korporatistischen Wohlfahrtsstaatsmodells.14 Gemäß Tálos/F<strong>in</strong>k ist die österreichische Sozialpolitik von folgenden gr<strong>und</strong>legendenPr<strong>in</strong>zipien geprägt: 15Zugang zum Leistungssystem über Erwerbsarbeit <strong>und</strong>Ehe: Das bedeutet, dass der Anspruch an sozialstaatlicheLeistungen an die Integration <strong>in</strong> den Arbeitsmarkt geknüpftist. Dies impliziert gleichzeitig, dass e<strong>in</strong> Teil der Bevölkerungvon e<strong>in</strong>er eigenständigen sozialstaatlichen Absicherung ausgeschlossenist. E<strong>in</strong> mittelbarer Zugang zur sozial-staatlichenAbsicherung erfolgt über die Ehe.Äquivalenzpr<strong>in</strong>zip <strong>und</strong> Lebensstandardsicherung: Nachdiesem Pr<strong>in</strong>zip s<strong>in</strong>d ausschließlich die geleisteten Beiträgeausschlaggebend. Wird ke<strong>in</strong> Beitrag geleistet, dann erfolgtauch ke<strong>in</strong>e Leistung. Die Höhe der Leistung orientiert sichdabei am vorherigen Erwerbse<strong>in</strong>kommen.Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip staatlicher Hilfe: Der Staat leisteterst dann soziale Unterstützung, wenn es für Hilfesuchendeke<strong>in</strong>e andere Möglichkeit mehr gibt. Beispielsweise wird beider Bedürftigkeitsprüfung nicht das <strong>in</strong>dividuelle, sondern dasgesamte Familiene<strong>in</strong>kommen als Berechnungsbasis herangezogen.Zusammengefasst betrachtet wird deutlich, dass das österreichische Sozialsystem überwiegenderwerbszentriert ist. Arbeit stellt demnach e<strong>in</strong>e existenzielle Notwendigkeit dar. Erwerbsarbeit12 vgl. Stanzl (2011), S. 204ff13 vgl. Stanzl (2011), S. 204f u. Die Armutskonferenz (2012), onl<strong>in</strong>e14 vgl. Ob<strong>in</strong>ger (2009), S. 348 <strong>und</strong> Tálos(2006), S. 62415 vgl. Tálos/ F<strong>in</strong>k (2001), S. 5f18 Arbeit <strong>und</strong> Beschäftigung Abschlussbericht
B E D A R F S O R I E N T I E R T E M I N D E S T S I C H E R U N Gwird geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als bestes Mittel gegen Armut angesehen. Ob<strong>in</strong>ger merkt hierzu an, dass die vergleichendeWohlfahrtsstaatsforschung dem österreichischen, nämlich konservativen Regimetype<strong>in</strong>en Reformbedarf attestiert. Aufgr<strong>und</strong> mangelnder Anpassung an die veränderten sozioökonomischenRahmenbed<strong>in</strong>gungen sei das österreichische Sozialsystem veraltet. Beispielsweise hatdie enge Verknüpfung zwischen Beitrags- <strong>und</strong> Versicherungsleistungen weitreichende Folgen fürdie steigende Zahl atypisch beschäftigter Personen. 16Die Arbeitsmarktpolitik hat laut dem Arbeitsmarktgesetz (AMSG) <strong>in</strong>sbesondere die Aufgaben Arbeitslosigkeitvorzubeugen <strong>und</strong> zu beseitigen, sowie zu e<strong>in</strong>em vollständig, nachhaltig <strong>und</strong> wirtschaftlichs<strong>in</strong>nvollen Zusammenführen von Arbeitskräfteangebot <strong>und</strong> -nachfrage, unter Wahrungökonomischer <strong>und</strong> sozialer Gr<strong>und</strong>sätze, beizutragen. 17 Vor allem s<strong>in</strong>d es die historischen Erfahrungenmit Massenarbeitslosigkeit, die das bewusste E<strong>in</strong>greifen des Staates <strong>in</strong> den Arbeitsmarktrechtfertigen. Es wird als Aufgabe des Staates angesehen, den Arbeitsmarkt zugunsten vielerArbeitsplätze zu bee<strong>in</strong>flussen. Das Arbeitsmarktservice (AMS) stellt dabei den wichtigsten Trägerzur Umsetzung der arbeitsmarktpolitischen Zielvorgaben des B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isteriums für Arbeit,Soziales <strong>und</strong> Konsumentenschutz (BMASK) dar. Das AMS, e<strong>in</strong> Dienstleistungsunternehmen desöffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, ist für die Vollziehung bzw. Durchführungder staatlichen Arbeitsmarktpolitik zuständig. 18 Anfang der 1990er Jahre wurde der Arbeitsmarktverwaltung,quasi der Vorläufer des AMS, unter anderem <strong>in</strong>effiziente Arbeitsweise <strong>und</strong> mangelndeNähe zu den Betrieben vorgeworfen. Daraufh<strong>in</strong> wurde nach langwierigen Verhandlungen dasArbeitsmarktservicegesetz (AMSG) erlassen. Durch das Gesetz kam es zur Ausgliederung derArbeitsmarktverwaltung aus dem staatlichen Bereich <strong>und</strong> zur Transformation <strong>in</strong> das AMS, daszu strukturellen Änderungen führte <strong>und</strong> u,a, mit dem Ziel verb<strong>und</strong>en war, die <strong>Aktivierung</strong> von Arbeitslosen<strong>in</strong> den Mittelpunkt zu rücken, anstatt Arbeitslosigkeit nur zu „verwalten“, auch mit demH<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>, dadurch den „Missbrauch“ von Sozialleistungen zu vermeiden. 19 Das B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isteriumfür Arbeit, Soziales <strong>und</strong> Konsumentenschutz arbeitsmarktpolitische legt Ziele fest, mitderen Abwicklung der staatlichen Arbeitsmarktpolitik obliegt dann dem Arbeitsmarktservice. DieRisikoabsicherung der Arbeitslosigkeit obliegt (nahezu) gänzlich dem staatlichen Bereich. 20 DieseZielvorgaben s<strong>in</strong>d dabei stark an europäische Vorgaben angelehnt. 21 Die staatliche Arbeitsmarktpolitik<strong>in</strong> Österreich baut auf zwei Säulen auf, der aktiven <strong>und</strong> der passiven Arbeitsmarktpolitik.Passive ArbeitsmarktpolitikDie passive Arbeitsmarktpolitik richtet ihren Fokus auf die Kompensation von E<strong>in</strong>kommensverlusten,bed<strong>in</strong>gt durch Arbeitslosigkeit. Im Falle des Risikoe<strong>in</strong>tritts stellen <strong>in</strong>sbesondere Arbeitslosengeld<strong>und</strong> Notstandshilfe e<strong>in</strong>e Entgeltersatzleistung dar. Das Arbeitslosengeld bietet für e<strong>in</strong>enbefristeten Zeitraum e<strong>in</strong>e materielle Absicherung. Dessen Erhalt ist allerd<strong>in</strong>gs an bestimmte Voraussetzungengeb<strong>und</strong>en. Das Arbeitslosengeld basiert auf dem Beitragspr<strong>in</strong>zip, d. h. nur jeneMenschen, die zuvor Beiträge <strong>in</strong> Form von ArbeitnehmerInnenbeiträgen geleistet haben, erhaltendann auch Leistungen. In Österreich beträgt die Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld 55 Prozentdes Nettoe<strong>in</strong>kommens. Ist der befristete Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgelaufen, so hatman Anspruch auf Notstandshilfe. Entsprechend dem Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip ist e<strong>in</strong>e die wichtige16 vgl. Ob<strong>in</strong>ger (2009), S. 34817 vgl. BMASK (2012a), S. 1118 vgl. Resch (2011), S. 148ff19 vgl. Atzmüller (2009a), S. 156ff u. Ludwig-Mayrhofer/ Wroblewski (2004), S. 49320 vgl. Resch (2011), S. 14921 vgl. BMASK (2012), S. 14Arbeit <strong>und</strong> Beschäftigung Abschlussbericht19