Nr. 60 - Herbst 2016
Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt » Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ? Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes
Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt »
Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ?
Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere
Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes
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UNTERWEGS IN FRANKREICH Dordogne-Tal<br />
Der Weihnachtsmarkt in Meyssac und seine Gründerin Heike Mas.<br />
für den man einen Schlüssel benötigt. Der Mann kam<br />
also an und fragte mich in einem wirklich barschen Ton:<br />
« Was machen Sie hier? » Logischerweise antwortete<br />
ich: « Ich bringe meinen Müll weg. » An seiner Reaktion<br />
merkte ich dann, dass er erstaunt darüber war, mich nicht<br />
zu kennen. Anscheinend hätte ich die Tür sofort wieder<br />
mit dem Schlüssel abschließen müssen, damit kein Unbefugter<br />
dort eindringen kann … Ich sage nicht, dass sich<br />
so etwas in Brive-la-Gaillarde oder an einem anderen Ort<br />
in Frankreich nicht genauso abspielen könnte. Aber hier<br />
sind die Menschen weniger gestresst, sie sind vielleicht<br />
« cooler ». Und glauben Sie mir, es tut gut, von « coolen »<br />
Menschen umgeben zu sein.<br />
Gab es Dinge, an die Sie sich als Deutsche erst gewöhnen mussten?<br />
Ja natürlich, vor allem am Anfang. Aber im Endeffekt<br />
ging dies ziemlich schnell. Was mich besonders freut, ist<br />
die Tatsache, dass ich zwar viele Dinge von den Franzosen<br />
gelernt habe, dass es mir aber von Zeit zu Zeit in einem<br />
bescheidenen Rahmen gelungen ist, sie ebenfalls dazu<br />
zu bewegen, einige ihrer Angewohnheiten zu ändern.<br />
Nehmen Sie beispielsweise die Fußgängerüberwege. In<br />
Brive-la-Gaillarde und in Meyssac habe ich gelernt, es zu<br />
« wagen », die Straße zu überqueren, selbst wenn das kleine<br />
Männchen auf Rot steht. Das ist typisch französisch<br />
und theoretisch verboten, aber sehr zeitsparend, vor allem,<br />
wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist … und natürlich,<br />
wenn mich kein Kind dabei beobachten kann. (lacht)<br />
Umgekehrt habe ich als Autofahrerin meinen französischen<br />
Freunden beigebracht, Fußgänger, die die Straße<br />
überqueren möchten, mehr zu respektieren. Sie sehen also,<br />
wir ergänzen uns sehr gut!<br />
Vor allem aber haben Sie den Bewohnern von Meyssac eine<br />
typisch deutsche Tradition nähergebracht …<br />
Ja, die der Weihnachtsmärkte! Als ich in der Region<br />
ankam, musste ich schockiert feststellen, dass es weder einen<br />
einzigen Weihnachtsmarkt gab, noch dass in den Straßen<br />
der Stadt irgendetwas auf Weihnachten hinwies. Es<br />
gab kein Konzert, keine Dekoration, keine festliche Stimmung.<br />
Um ein paar Weihnachtskugeln zu sehen, musste<br />
man in den Supermarkt gehen. Das fand ich trist. Deshalb<br />
hatte ich beschlossen, in Meyssac einen Weihnachtsmarkt<br />
zu organisieren. Ich habe einen kleinen Verein gegründet<br />
und die Städtepartnerschaft mit Bettenhausen in Thüringen<br />
wieder aufleben lassen. 1998, im ersten Jahr, hatten<br />
wir noch keine Hütten und der Markt fand daher in der<br />
überdachten Markthalle des Dorfes statt. Es gab 20 Aussteller.<br />
Obwohl wir ja ein Dach über dem Kopf hatten,<br />
war meine größte Angst, es könnte regnen. Eines habe ich<br />
nämlich in Frankreich gelernt: Wenn es regnet, gehen die<br />
Franzosen nicht aus dem Haus. Glücklicherweise schien<br />
die Sonne. Heute gibt es auf dem Weihnachtsmarkt in<br />
Meyssac rund <strong>60</strong> Stände in richtigen kleinen Holzhütten,<br />
genau so wie in Deutschland. 50 bis <strong>60</strong> freiwillige Helfer<br />
sind im Einsatz und inzwischen kommen mehr als 10.000<br />
Besucher. Nicht schlecht für ein kleines Dorf, oder?<br />
Und man kann sagen, dass die Franzosen ihn schätzen …<br />
Ja, das ist sicher. Der Markt ist inzwischen in der Region<br />
zu einer richtiggehenden Institution geworden. Er<br />
ist besonders für die Qualität seiner Produkte bekannt:<br />
Es werden ausschließlich hochwertige handwerklich gefertigte<br />
Produkte verkauft. Und vor allem strahlt er diese<br />
besondere Atmosphäre aus, die man in Deutschland gut<br />
kennt, die die Franzosen aber erst entdecken mussten,<br />
und die sie jetzt offensichtlich umso mehr schätzen.<br />
Sie müssen wissen, dass jedes Jahr Deutsche aus Bettenhausen<br />
kommen, die auf dem Weihnachtsmarkt in<br />
Meyssac Bier und Tausende von Würsten verkaufen. Ich<br />
bin überzeugt, dass auf dem Weihnachtsmarkt hier inzwischen<br />
mehr Bier getrunken wird und mehr Würste<br />
gegessen werden als auf dem in Bettenhausen! Geben Sie<br />
zu, dass dies eine lustige Entwicklung ist. Angesichts der<br />
Beziehungen zwischen Franzosen und Deutschen in der<br />
Region wird mir ganz warm ums Herz. Eines ist sicher:<br />
Wenn ich zurückblicke, dann fühle ich mich zwar noch<br />
immer als Deutsche, aber mein Leben ist jetzt hier. Hier<br />
bin ich wirklich glücklich.<br />
36 · Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong>