21.04.2020 Aufrufe

Nr. 60 - Herbst 2016

Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt » Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ? Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes

Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt »
Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ?
Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere
Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

UNTERWEGS IN FRANKREICH Dordogne-Tal<br />

Der Weihnachtsmarkt in Meyssac und seine Gründerin Heike Mas.<br />

für den man einen Schlüssel benötigt. Der Mann kam<br />

also an und fragte mich in einem wirklich barschen Ton:<br />

« Was machen Sie hier? » Logischerweise antwortete<br />

ich: « Ich bringe meinen Müll weg. » An seiner Reaktion<br />

merkte ich dann, dass er erstaunt darüber war, mich nicht<br />

zu kennen. Anscheinend hätte ich die Tür sofort wieder<br />

mit dem Schlüssel abschließen müssen, damit kein Unbefugter<br />

dort eindringen kann … Ich sage nicht, dass sich<br />

so etwas in Brive-la-Gaillarde oder an einem anderen Ort<br />

in Frankreich nicht genauso abspielen könnte. Aber hier<br />

sind die Menschen weniger gestresst, sie sind vielleicht<br />

« cooler ». Und glauben Sie mir, es tut gut, von « coolen »<br />

Menschen umgeben zu sein.<br />

Gab es Dinge, an die Sie sich als Deutsche erst gewöhnen mussten?<br />

Ja natürlich, vor allem am Anfang. Aber im Endeffekt<br />

ging dies ziemlich schnell. Was mich besonders freut, ist<br />

die Tatsache, dass ich zwar viele Dinge von den Franzosen<br />

gelernt habe, dass es mir aber von Zeit zu Zeit in einem<br />

bescheidenen Rahmen gelungen ist, sie ebenfalls dazu<br />

zu bewegen, einige ihrer Angewohnheiten zu ändern.<br />

Nehmen Sie beispielsweise die Fußgängerüberwege. In<br />

Brive-la-Gaillarde und in Meyssac habe ich gelernt, es zu<br />

« wagen », die Straße zu überqueren, selbst wenn das kleine<br />

Männchen auf Rot steht. Das ist typisch französisch<br />

und theoretisch verboten, aber sehr zeitsparend, vor allem,<br />

wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist … und natürlich,<br />

wenn mich kein Kind dabei beobachten kann. (lacht)<br />

Umgekehrt habe ich als Autofahrerin meinen französischen<br />

Freunden beigebracht, Fußgänger, die die Straße<br />

überqueren möchten, mehr zu respektieren. Sie sehen also,<br />

wir ergänzen uns sehr gut!<br />

Vor allem aber haben Sie den Bewohnern von Meyssac eine<br />

typisch deutsche Tradition nähergebracht …<br />

Ja, die der Weihnachtsmärkte! Als ich in der Region<br />

ankam, musste ich schockiert feststellen, dass es weder einen<br />

einzigen Weihnachtsmarkt gab, noch dass in den Straßen<br />

der Stadt irgendetwas auf Weihnachten hinwies. Es<br />

gab kein Konzert, keine Dekoration, keine festliche Stimmung.<br />

Um ein paar Weihnachtskugeln zu sehen, musste<br />

man in den Supermarkt gehen. Das fand ich trist. Deshalb<br />

hatte ich beschlossen, in Meyssac einen Weihnachtsmarkt<br />

zu organisieren. Ich habe einen kleinen Verein gegründet<br />

und die Städtepartnerschaft mit Bettenhausen in Thüringen<br />

wieder aufleben lassen. 1998, im ersten Jahr, hatten<br />

wir noch keine Hütten und der Markt fand daher in der<br />

überdachten Markthalle des Dorfes statt. Es gab 20 Aussteller.<br />

Obwohl wir ja ein Dach über dem Kopf hatten,<br />

war meine größte Angst, es könnte regnen. Eines habe ich<br />

nämlich in Frankreich gelernt: Wenn es regnet, gehen die<br />

Franzosen nicht aus dem Haus. Glücklicherweise schien<br />

die Sonne. Heute gibt es auf dem Weihnachtsmarkt in<br />

Meyssac rund <strong>60</strong> Stände in richtigen kleinen Holzhütten,<br />

genau so wie in Deutschland. 50 bis <strong>60</strong> freiwillige Helfer<br />

sind im Einsatz und inzwischen kommen mehr als 10.000<br />

Besucher. Nicht schlecht für ein kleines Dorf, oder?<br />

Und man kann sagen, dass die Franzosen ihn schätzen …<br />

Ja, das ist sicher. Der Markt ist inzwischen in der Region<br />

zu einer richtiggehenden Institution geworden. Er<br />

ist besonders für die Qualität seiner Produkte bekannt:<br />

Es werden ausschließlich hochwertige handwerklich gefertigte<br />

Produkte verkauft. Und vor allem strahlt er diese<br />

besondere Atmosphäre aus, die man in Deutschland gut<br />

kennt, die die Franzosen aber erst entdecken mussten,<br />

und die sie jetzt offensichtlich umso mehr schätzen.<br />

Sie müssen wissen, dass jedes Jahr Deutsche aus Bettenhausen<br />

kommen, die auf dem Weihnachtsmarkt in<br />

Meyssac Bier und Tausende von Würsten verkaufen. Ich<br />

bin überzeugt, dass auf dem Weihnachtsmarkt hier inzwischen<br />

mehr Bier getrunken wird und mehr Würste<br />

gegessen werden als auf dem in Bettenhausen! Geben Sie<br />

zu, dass dies eine lustige Entwicklung ist. Angesichts der<br />

Beziehungen zwischen Franzosen und Deutschen in der<br />

Region wird mir ganz warm ums Herz. Eines ist sicher:<br />

Wenn ich zurückblicke, dann fühle ich mich zwar noch<br />

immer als Deutsche, aber mein Leben ist jetzt hier. Hier<br />

bin ich wirklich glücklich.<br />

36 · Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!