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Nr. 60 - Herbst 2016

Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt » Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ? Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes

Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt »
Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ?
Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere
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FRANKREICH HEUTE Wirtschaft Gesellschaft<br />

BREXIT<br />

Wie denken Briten,<br />

die in Frankreich leben, darüber?<br />

Am 23. Juni <strong>2016</strong> haben die Briten mit 51,9 % der Stimmen für<br />

den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Die rund<br />

200.000 Engländer, darunter viele Rentner, von denen viele<br />

seit Langem in Frankreich leben, haben die Abstimmung und<br />

das Resultat mit ganz besonderem Interesse verfolgt. Viele sind<br />

nun zutiefst verunsichert, welche Konsequenzen dieses Votum<br />

für sie haben wird. Wir haben einige von ihnen getroffen.<br />

Mandy ist 66 Jahre alt. Früher führte sie ein kleines<br />

Kleidergeschäft in London, aber seit einigen Jahren<br />

lebt sie rund dreißig Kilometer nördlich von<br />

Toulouse. Ihr Haus liegt auf dem Lande, und jetzt, zu Beginn<br />

des Sommers, freut sie sich über ihren wunderschön blühenden<br />

Garten. Sie hat hier alles, was sie sich für ihre Rente<br />

immer erträumt hat: ein kleines, abgelegenes Anwesen, das<br />

ihr gehört, einige Hühner, einen Esel und seit einigen Monaten<br />

sogar ein Pferd. « In England hätte ich mir dies alles mit<br />

meiner bescheidenen Rente nicht leisten können », erklärt sie<br />

in einem nahezu akzentfreien Französisch. Mandy hat bei<br />

dem Referendum per Post abgestimmt. Es fällt ihr schwer,<br />

das Ergebnis zu akzeptieren: « Ich verstehe meine Landsleute<br />

wirklich nicht. Ich habe den Eindruck, sie haben gewählt,<br />

ohne sich über die Konsequenzen ihrer Entscheidung bewusst<br />

zu sein. » Um ihren Standpunkt zu unterstreichen, zeigt<br />

die quirlige Rentnerin ein Dokument, das sie ausgedruckt<br />

hat. « Schauen Sie, das habe ich am Abend des 23. Juni, also<br />

am Abend des Abstimmungstages, auf der Website von Google<br />

England gefunden. Es ist wirklich unglaublich! Was glauben<br />

Sie, welche Fragen die Briten nach Bekanntgabe des Ergebnisses<br />

am häufigsten gestellt haben? » Da wir nicht in der<br />

Lage sind, dies aus dem Stehgreif zu beantworten, fährt<br />

Mandy fort: «‹ Was ist die Europäische Union? Sind wir<br />

noch in der Europäischen Union oder nicht? › Es ist wirklich<br />

erschreckend, dass Menschen, die soeben abgestimmt haben,<br />

sich solche Fragen stellen! Aber es kommt noch besser, halten<br />

Sie sich fest: Laut Google gab es kurz vor Schließung der<br />

Wahlbüros einen Spitzenwert für folgende Suchanfrage:<br />

‹ Was passiert, wenn wir die Europäische Union verlassen? ›<br />

Man kann also vermuten, dass ein Großteil der 17,4 Millionen<br />

Wähler, die für ‹ Leave › gestimmt haben, gar keine Ahnung<br />

von der Tragweite und den Folgen der Stimmabgabe<br />

hatte! Das macht mich wirklich traurig. »<br />

Die meisten der in Frankreich ansässigen Engländer<br />

teilen diese Bestürzung, egal wo im Hexagon sie wohnen.<br />

Graham lebt seit rund zehn Jahren in einem kleinen Dorf<br />

im Loiretal, also etwas weiter nördlich als Mandy. Er und<br />

seine Frau Anabeth haben hier, wie sie sagen, eine Lebensqualität<br />

gefunden, die sie in England lange gesucht<br />

hatten. Auch sie verhehlen nicht, dass sie heute betrübt<br />

über den Ausgang des Referendums sind. Zuvor lebten<br />

sie ebenfalls in London, in einem winzigen Appartement,<br />

für das sie eine horrende Miete bezahlen mussten. Wie<br />

viele ihrer Landsleute wollten Graham und Anabeth einen<br />

Zweitwohnsitz erwerben, um am Wochenende der Enge<br />

der Stadt zu entfliehen. Daher machten sie sich zunächst<br />

in der Umgebung von London auf die Suche. Erfolglos.<br />

Allmählich weiteten sie ihren Radius dann aus, zunächst<br />

innerhalb Englands, später, auf Anraten von in Frankreich<br />

lebenden Freunden, auf den französischen Immobilienmarkt.<br />

Das Preisniveau im Hexagon und die Aussicht auf<br />

viel mehr Sonnentage haben sie schnell überzeugt. Man<br />

muss wissen, dass die beiden damals nicht die Katze im<br />

Sack kauften. Graham erläutert: « Schon vor zehn Jahren<br />

waren zahlreiche Immobilienbüros in Tours und Angers<br />

auf englische Kunden eingerichtet, und in dem Dorf, in<br />

dem wir heute wohnen, lebten damals bereits sieben englische<br />

Familien. Das hat uns ermutigt, uns hier niederzulassen!<br />

» Und Anabeth ergänzt noch etwas, über das sie heute<br />

noch schmunzeln muss: « Als wir in dieser Region Häuser<br />

besichtigten, ging ich in dem Dorf, in dem wir heute leben,<br />

in die Épicerie, um Mineralwasser zu kaufen. Überrascht<br />

stellte ich fest, dass es ein ganzes Regal mit englischen<br />

70 · Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong>

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