Nr. 60 - Herbst 2016
Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt » Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ? Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes
Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt »
Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ?
Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere
Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes
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UNTERWEGS IN FRANKREICH Val de Loire<br />
oder hört, steht er sofort vom Klavier auf und das Konzert<br />
ist beendet. › Allein bei der Vorstellung war ich entsetzt! »<br />
Nach stundenlangen Versuchen, so diskret wie möglich<br />
Fotos zu machen – und zahlreichen Krämpfen –, entstand<br />
zwischen Gérard und Richter dann schließlich eine unbestrittene<br />
Vertrautheit, die es ihm ermöglichte, einige der<br />
raren Bilder des berühmten Pianisten zu machen. Wenn<br />
man ihn heute fragt, welches Ereignis ihm aus all den<br />
Festivaljahren am meisten in Erinnerung geblieben ist,<br />
zögert Gérard nicht eine Sekunde: das Konzert von Jessye<br />
Norman 1982. Die Künstlerin hatte gerade begonnen, als<br />
draußen ein schweres Gewitter aufzog. Donner und Blitz<br />
wurden immer zahlreicher. Plötzlich fiel der Strom aus.<br />
Sofort wurde improvisiert und die Bühne mit Kerzen<br />
beleuchtet. Die Diva fuhr ungerührt mit ihrem Vortrag<br />
fort. Die Stimmung war surreal. Richter selbst war davon<br />
außergewöhnlich bewegt. « Es war ein fantastisches Konzert,<br />
bei der die Musik mit bedrohlichen Naturgewalten<br />
im Wettstreit lag. Dann gab es donnernden Applaus »,<br />
sagte er damals.<br />
Michel Puygrenier war viele Jahre Vorsitzender des<br />
Vereins, der die Organisation des Festival de la Grange de<br />
Meslay innehat. In den Jahren, als das Festival eine schwierige<br />
Zeit durchstehen musste (1993-2003), hat der ehemalige<br />
Mathematiklehrer nicht gezögert, aus finanziellen<br />
Gründen einige Grundfeste des Vereinslebens über den<br />
Haufen zu werfen und mit bestimmten Gewohnheiten zu<br />
brechen: Es gab keine kostenlosen Eintrittskarten mehr,<br />
auch nicht für die Mitglieder des Vereins – inzwischen<br />
sind es mehr als 400 –, die alle ehrenamtlich arbeiten. Ihm<br />
ist zu verdanken, dass sich das Festival weiterentwickelt<br />
hat und wirtschaftlich wieder auf soliden Beinen steht.<br />
Ein Drittel des Budgets wird heute selbst erwirtschaftet,<br />
wobei die Eintrittspreise (ab 24 Euro pro Konzert) sehr<br />
moderat sind. Der Rest stammt aus Subventionen der Region,<br />
des Departements, der Stadt Tours und von privaten<br />
Partnern. Seine größte Freude aber ist es, zu spüren, dass<br />
das Festival immer noch etwas Besonderes ausstrahlt. « Es<br />
ist wirklich schön, zu erleben, wie Künstler mit internationalem<br />
Renommee, die oft als ‹ kapriziös › bezeichnet<br />
werden, sich in Meslay unter das Publikum mischen, mit<br />
allen anderen gemeinsam einen Happen essen oder sich<br />
einen Spaß daraus machen, im Hof dem Hahn nachzurennen<br />
», gibt er mit einem breiten Lächeln zu.<br />
Die aktuelle Präsidentin des Vereins, Danielle<br />
Mommeja, ebenfalls eine pensionierte Lehrerin – in ihrem<br />
Fall für Literatur –, setzt alles daran, zusammen mit den<br />
freiwilligen Helfern weiterhin den Erfolg des Festivals<br />
zu garantieren. « Es ist jedes Jahr dasselbe. Wir arbeiten<br />
wie die Verrückten und sagen uns, dass wir dabei ein unglaubliches<br />
Glück haben. Man spürt hier etwas Besonderes,<br />
etwas, das über die Liebe zur Musik hinausgeht. Es<br />
gibt viele Emotionen, sowohl auf musikalischer, als auch<br />
auf menschlicher Ebene. » Während sie dies sagt, kommt<br />
Josiane Cier, eine weitere ehrenamtliche Helferin, die<br />
sich ebenfalls mit Herzblut und Energie für den Verein<br />
engagiert, nimmt sie an der Schulter und unterbricht das<br />
Gespräch: « Apropos Emotion, du solltest vielleicht reingehen,<br />
das Konzert beginnt in fünf Minuten … » In der Tat<br />
betreten gerade die letzten Zuhörer die Scheune. In der<br />
Ferne überwacht der Hahn auf dem Platz des Gutes ungerührt<br />
seine Hühner. Zweifellos hat die Eule – oder der<br />
Uhu – inzwischen ebenfalls oben im Gebälk Platz genommen.<br />
Alles klar, Josiane, das Konzert kann beginnen!<br />
62 · Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong>