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Nr. 60 - Herbst 2016

Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt » Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ? Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes

Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt »
Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ?
Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere
Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes

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UNTERWEGS IN FRANKREICH Sigean<br />

burt von vier Gepardenjungen ausgesprochen berührt …<br />

Beim Lesen dieser Nachricht musste ich unweigerlich<br />

an das Gespräch denken, das ich vor Ort mit Cyril Vaccaro<br />

geführt hatte. Wenn der junge Mann im Alltag nach<br />

seinem Beruf gefragt wird, antwortet er immer etwas lapidar<br />

mit « Tierpfleger ». Genauer gesagt ist er einer der Verantwortlichen<br />

für den « Bereich Fleischfresser ». Darunter<br />

fallen die fünf fleischfressenden Tierarten, die im Reservat<br />

leben: Erdmännchen, Löwen, Bären, Geparden und<br />

Afrikanische Wildhunde. Mit seinen Kollegen verteilt er<br />

täglich – unter anderem – 75 kg Fleisch bester Qualität:<br />

rotes Fleisch (Rind) und weißes Fleisch (Huhn). Man<br />

kann sich vorstellen, dass dies kein Beruf wie alle anderen<br />

ist. Aber Cyril ist hier voll in seinem Element: « Ich habe<br />

als Saisonarbeiter begonnen und dabei entdeckt, dass ich<br />

mich zu den Fleischfressern sehr hingezogen fühle. »<br />

Vor allem die Löwen haben es ihm angetan. Die Art,<br />

wie sie sich fortbewegen, ihre Art zu leben, ihre Beziehungen<br />

untereinander. Man muss Cyril gesehen haben,<br />

wie er sie beobachtet und uns dann aufklärt, wenn wir<br />

unser Erstaunen darüber äußern, dass sie sich alle auf<br />

einem Hügel versammelt haben: « Das ist normal, es<br />

sind schließlich Raubtiere. Sie lieben es, die Übersicht<br />

über ihr Territorium zu haben. » Dann zählt er alle ihre<br />

Vornamen auf. Sein Blick verrät, dass es für ihn mehr als<br />

« nur » Arbeit ist. Es ist eine echte Leidenschaft, die oft<br />

mit emotionalen Erlebnissen verbunden ist. Aus gutem<br />

Grund: Cyril hat quasi die Geburt all dieser Löwen hier<br />

miterlebt. Ich erfahre von ihm, dass Löwen keine festen<br />

Paarungszeiten haben, sondern sich das ganze Jahr über<br />

paaren können. Demzufolge kann es quasi das ganze Jahr<br />

über zu Geburten kommen. Innerhalb eines Rudels haben<br />

die Tiere allerdings denselben Rhythmus. Die Weibchen<br />

werden ungefähr gleichzeitig läufig und bekommen ihre<br />

Jungen dann ebenfalls zur selben Zeit. Dadurch hat ein<br />

Teil von ihnen die Möglichkeit, auf die Jagd zu gehen,<br />

während andere auf den Nachwuchs aufpassen. Die Natur<br />

hat also schon viel früher als die Menschen das Prinzip<br />

der Kinderkrippe erfunden!<br />

Cyril hat mir anvertraut, dass der emotionalste Moment<br />

im Reservat für ihn der gewesen sei, als er beim<br />

Decken der Gepardenweibchen dabei sein konnte. « Dies<br />

ist sehr selten. Man kann hier ein, zwei oder sogar drei<br />

Jahre arbeiten, bevor man dies miterlebt », erläutert er. Der<br />

Grund ist einfach: Die Weibchen sind Einzelgängerinnen<br />

und ertragen die Anwesenheit eines Männchens nur,<br />

wenn sie gerade läufig sind. Um ein Weibchen decken lassen<br />

zu können, muss man in der Lage sein, zu erkennen,<br />

wann dieser Moment gekommen ist – wobei die Läufigkeit<br />

bei Geparden sehr diskret abläuft –, um ihnen dann im<br />

richtigen Moment ein Männchen zu präsentieren. Dafür<br />

sind Geduld und Präzision nötig! Deshalb kann ich heute<br />

problemlos nachvollziehen, welche Freude die Pfleger in<br />

Sigean bei der Geburt der vier Gepardenbabys empfunden<br />

haben müssen. 2015 ist nur in zwölf europäischen Tierparks<br />

die Reproduktion dieser Raubkatzen gelungen.<br />

Man könnte meinen, der Hauptzweck des Parks sei,<br />

die überwiegend afrikanische Fauna, die um einige Repräsentanten<br />

anderer Kontinente erweitert wurde, den mehr<br />

als 300.000 Besuchern pro Jahr zu präsentieren. Doch<br />

dem ist nicht so. Die wichtigsten Aufgaben des Réserve<br />

africaine de Sigean sind vermutlich die Erhaltung und der<br />

Schutz bestimmter Spezies. In der freien Natur nimmt der<br />

Bestand von mehr und mehr Tierarten immer schneller<br />

ab. Deshalb haben Geburten eine so besondere Bedeutung.<br />

Und in Sigean sind sie zahlreich: mehr als 10.000<br />

innerhalb von 40 Jahren! Neben den Geparden zeichnen<br />

sich dabei noch andere freudige Ereignisse durch ihre<br />

Seltenheit aus: Rötelpelikane, Somalische Wildesel, Afrikanische<br />

Windhunde … Alle diese Spezies sind bedroht,<br />

und jede einzelne Geburt ist ein Ereignis auf internationaler<br />

Ebene. Und im Anschluss werden viele dieser Tiere<br />

dann mit anderen Tierparks in Europa ausgetauscht, um<br />

das Überleben bedrohter Arten zu sichern und Risiken<br />

durch Blutsverwandtschaft auszuschließen.<br />

Die Organisation solcher Programme läuft heutzutage<br />

auf internationaler Ebene ab: Die Giraffen sind beispielsweise<br />

Teil eines europäischen Zuchtprogramms. Der<br />

Verantwortliche des Parks kann jederzeit genau nachvollziehen,<br />

wie viele Giraffenbullen und -kühe es in Europa<br />

gibt. Jährliche Empfehlungen sollen eine optimale Fortpflanzung<br />

gewährleisten. Jedem Park steht es frei, sich mit<br />

einem beliebigen anderen in Verbindung zu setzen und das<br />

Decken zu organisieren. Sigean arrangiert sich oft mit dem<br />

Berliner Zoo, indem es ein bestimmtes Tier eine Zeit lang<br />

verleiht oder ein Tier von dort ausleiht, bis es zu einer Paarung<br />

kommt. Dies ist nicht immer einfach, denn die Tiere<br />

müssen zunächst überhaupt Lust dazu haben … Alle diese<br />

Austausche erfolgen kostenlos. Laut internationalem Recht<br />

darf ein Tier nicht als Handelsware eingestuft werden.<br />

Dank dieser Vorgehensweise können bedrohte Tierarten<br />

geschützt werden, und mittlerweile gibt es einige, die in<br />

zoologischen Einrichtungen zahlreicher als in der freien<br />

Wildbahn sind: Im Reservat von Sigean leben beispielsweise<br />

heute mehr Kragenbären als in der Tibet-Hochebene.<br />

Christophe Jodar ist ebenfalls einer der Pfleger des<br />

Reservats, mit denen ich gesprochen habe. Er kümmert<br />

sich seinerseits um Giraffen, Mufflons und die lustigen<br />

und sympathischen kleinen Erdmännchen. Man nennt<br />

ihn hier den « Erdmännchen-Flüsterer ». Mit einem bestimmten<br />

Schrei gelingt es ihm, dass sie sich aufrichten,<br />

indem sie sich auf die Hinterbeine stellen und so die berühmte<br />

Wartestellung einnehmen, die man vor allem aus<br />

Zeichentrickfilmen kennt. Alle ohne Ausnahme haben<br />

sich ihm zugewendet und scheinen an seinen Lippen zu<br />

hängen. Ein erstaunlicher Moment! Man versteht, dass<br />

die Tiere eine enge Beziehung zu ihren Pflegern haben.<br />

Christophe erklärt mir, dass die Fütterung in der Regel<br />

vormittags gegen 10.30 Uhr stattfindet. Neben dem<br />

Fleisch für die Raubtiere werden täglich knapp 3 Tonnen<br />

Nahrung ausgegeben, darunter rund 300 Kilogramm<br />

Obst und Gemüse, 150 Kilogramm Brot und Zwieback,<br />

52 · Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong>

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