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Nr. 60 - Herbst 2016

Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt » Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ? Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere Chantals Rezept: Tarte d'automne aux champignons à la farine de châtaignes

Vallée de la Dordogne: Wo man « wie Gott in Frankreich lebt »
Saint-Germain-des-Près: die Seele von Paris ?
Occitanie; Sigean: das Reservat der Glücklichen Tiere
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von Maurice Ravel<br />

Erfolg, der logischerweise sehr, sehr hohe Tantiemen nach<br />

sich gezogen hat. Sogar rekordverdächtige, denn obwohl<br />

der Betrag nie veröffentlicht wurde, lag der Bolero bis<br />

1994 auf Platz eins der weltweiten Tantiemenrangliste,<br />

und 2015 war er immerhin noch auf dem 103. Platz zu<br />

finden. Eingezogen und viermal pro Jahr an die Anspruchsberechtigten<br />

ausbezahlt wurden die Tantiemen für<br />

die Nutzung des Boleros von der französischen Société des<br />

auteurs, compositeurs et éditeurs de musique (SACEM). Diese<br />

französische Gesellschaft zur Verwaltung künstlerischer<br />

Urheberrechte ist das Pendant zur deutschen Gema. Wie<br />

meist in solchen Fällen wird der Betrag geheim gehalten.<br />

Man schätzt, dass sich die im Laufe der Jahre ausgezahlten<br />

Vergütungen auf mehrere Dutzend Millionen Euro<br />

belaufen … Bis hierher ist alles normal. Das Problem liegt<br />

eher in der Persönlichkeit der Rechteinhaber und darin,<br />

wie diese mit dem Vermächtnis umgehen.<br />

Zum Zeitpunkt seines Todes im Jahr 1937 hatte Maurice<br />

Ravel einen einzigen Erben: seinen Bruder Edouard.<br />

Folglich fiel diesem der gesamte Nachlass zu. 1954 hatte<br />

Edouard Ravel allerdings einen schweren Autounfall.<br />

Die Friseurin Jeanne Taverne trat daher damals in seine<br />

Dienste, ihr Mann Antoine, bis dato ebenfalls Friseur,<br />

sprang als Chauffeur ein. 1958 verfasste Edouard ein Testament,<br />

in dem er Jeanne Taverne zu seiner Universalerbin<br />

machte. Lediglich den ehemaligen Wohnsitz Belvédère<br />

von Ravel in Montfort-l’Amaury – eine Gemeinde rund<br />

50 Kilometer westlich von Paris – vermachte er der öffentlichen<br />

Einrichtung Réunion des Musées Nationaux (RMN),<br />

« um daraus ein Ravel-Museum in Gedenken an meinen<br />

Bruder zu machen », wie er im Testament präzisierte.<br />

Die Eheleute Taverne hatten von dieser Schenkung<br />

eine ganz bestimmte Vorstellung, denn für sie hatte Edouard<br />

selbstverständlich beabsichtigt, dem französischen<br />

Staat lediglich das Gebäude Belvédère zu vermachen, nicht<br />

aber den Inhalt. Demzufolge beanspruchten sie alle Möbel,<br />

Bilder, Papiere, Partituren sowie andere Objekte aus<br />

dem Besitz von Maurice Ravel für sich und entfernten alle<br />

wertvollen Besitztümer, darunter die 1300 Seiten, die im<br />

vergangenen Februar in New York hätten versteigert werden<br />

sollen, unverzüglich … Auf diese Weise sind Tausende<br />

Blätter mit Notizen von Maurice Ravel und Partituren bislang<br />

unveröffentlichter Werke verschwunden. Wie durch<br />

Zufall sind im Laufe der Jahre einige Dokumente bei<br />

verschiedenen Versteigerungen auf der ganzen Welt aufgetaucht,<br />

ohne dass dies jedoch in der breiten Masse publik<br />

geworden wäre. An ihnen erfreuen sich nun skrupellose<br />

Sammler, und die Möglichkeit, sie in einem Musée Ravel<br />

zusammentragen zu können, schwindet mehr und mehr.<br />

Das Vermächtnis von Maurice Ravel wird heute im<br />

Wesentlichen von Evelyne Pen de Castel verwaltet. Die<br />

Sechzigjährige wollte immer diskret bleiben, verwaltet<br />

jedoch « das Image des Komponisten mit eiserner Hand »,<br />

wie Le Figaro berichtet. Das geht so weit, dass sie « vom<br />

Friedhof Levallois-Perret verlangt, dass alle Anfragen<br />

bezüglich Aufnahmen seines Grabes für Fernsehen oder<br />

Kino über sie zu laufen hätten ». Sie war es auch, die hinter<br />

dem geplanten Verkauf in New York stand.<br />

Dies war jedoch vermutlich der Tropfen, der das Fass<br />

zum Überlaufen brachte: zu wichtig, zu öffentlich, sicher<br />

auch zu skandalös. Plötzlich waren alle Scheinwerfer auf<br />

die seltsamen Praktiken im Zusammenhang mit diesem<br />

bislang so diskreten Nachlass gerichtet. Inzwischen hat es<br />

die Association des Amis de Ravel übernommen, die Öffentlichkeit<br />

über die wertvollen Dokumente aus dem Nachlass<br />

von Ravel zu informieren und über die dringende Notwendigkeit,<br />

sich mehr um diesen nationalen Schatz Frankreichs<br />

zu kümmern. Diese Vereinigung hat es sich zum Ziel gesetzt,<br />

« das Andenken an den Komponisten zu wahren » und<br />

daher vor Kurzem mutig eine Petition lanciert, als « internationalen<br />

Aufruf für die Rückführung aller verschwundenen<br />

Dokumente und Besitztümer von Maurice Ravel, um diese<br />

in die öffentlichen französischen Archive zu integrieren<br />

und den Menschen zugänglich zu machen ».*<br />

Die Anspruchsberechtigten kämpfen jedoch an allen<br />

Fronten weiter: Obwohl der Bolero nun seit Anfang<br />

Mai Gemeingut geworden ist, versuchen sie, sich dem<br />

zu widersetzen. Von der Schweiz aus – von wo aus sie<br />

die Rechte über in Steuerparadiesen ansässige Gesellschaften<br />

verwalten – wollen sie die Aufrechterhaltung<br />

ihrer Ansprüche auf die Tantiemen für weitere 23 Jahre<br />

durchsetzen. Wie? Indem sie anführen, dass dem Werk<br />

ein « neuer » Koautor zuzuschreiben sei. Da das Stück als<br />

Ballett kreiert worden sei, wollten sie es als ein Gemeinschaftswerk<br />

zwischen Maurice Ravel und … dem Dekorateur<br />

Alexandre Benois anerkennen lassen. Dies hätte<br />

den Übergang in das Gemeingut hinausgeschoben. Ende<br />

April haben die Verwalter der SACEM dieses Ansinnen<br />

einstimmig abgelehnt, mit der Begründung, dass « Alexandre<br />

Benois vielleicht von der Musik zur Kreation seiner<br />

Dekoration inspiriert worden sei, dass diese Inspiration<br />

umgekehrt aber nicht gegeben war. » Ob das reichen<br />

wird, die Geldgier der Anspruchsberechtigten einzudämmen?<br />

Das ist nicht sicher …<br />

* Auf www.boleravel.fr gibt es nähere Informationen zu diesem<br />

internationalen Aufruf sowie einen Link zur Unterstützung der<br />

Petition.<br />

Frankreich erleben · <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong> · 77

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