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ECHO Top500 2022

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TOP 500 | INTERVIEW<br />

und von der Ausnutzung und Sicherung des<br />

niedrigen Zinsniveaus samt der steuerlichen<br />

Besserstellung von Fremdkapital über das abrupte<br />

Anspringen der Konjunktur nach den<br />

Lockdowns bis zu einer erhöhten Lagerhaltung<br />

aufgrund der Lieferkettenprobleme gehen. Im<br />

Unternehmensbereich lässt die Kreditdynamik<br />

aber nach, weil insbesondere die Tiroler Industrie<br />

schon vor dem Sommer ein Abflauen der<br />

Auftragsbestände verzeichnete und daher für<br />

Herbst eine Anpassung von Produktion und<br />

Personalstand erwartet. Auch bedingt dadurch,<br />

dass deren Kunden wieder ihre Lager abbauen,<br />

um Liquidität freizubekommen. Negative Einschätzungen<br />

zur erwarteten wirtschaftlichen<br />

Lage in Europa im Herbst und 2023 samt der<br />

allgemeinen Unsicherheit, höhere Lebenshaltungskosten<br />

und das sinkende Konsumentenvertrauen<br />

werden auch zu einer Vorsicht bei<br />

den Unternehmen führen. Bei den Haushalten<br />

waren die Immobilienkredite Wachstumstreiber.<br />

Auf diese entfallen zwei Drittel der Ausleihungen<br />

bei den privaten Haushalten. Durch die<br />

geringere Bautätigkeit, steigende Zinsen und<br />

höhere Anforderungen an die Kreditnehmer<br />

sind auch hier bremsende Effekte wahrscheinlich.<br />

<strong>ECHO</strong>: Haben die Tiroler die niedrigen<br />

Zinssätze genutzt, um sich bei den Immobilienkrediten<br />

dieses Niveau auch für die Zukunft<br />

langfristig zu sichern?<br />

Schneider: Das kann man nicht ganz so sagen.<br />

Die Immobilienkredite bei den Tiroler<br />

Banken sind nach wie vor leider mehrheitlich<br />

variabel verzinst. Der Anteil von ausschließlich<br />

variabel verzinsten Krediten am Gesamtbestand<br />

ist zwar von Ende 2018 bis Mitte <strong>2022</strong><br />

von 79 auf 62 Prozent zurückgegangen, liegt<br />

aber noch immer deutlich über dem österreichischen<br />

Schnitt von 48 Prozent. Zudem war<br />

der Rückgang auch geringer. Das ist insofern<br />

überraschend, als der Österreicher ganz grundsätzlich<br />

sehr risikoavers ist und das Erlangen des<br />

kurzfristigen Vorteils eines niedrigen Zinssatzes<br />

mit einem hohen langfristigen Risiko behaftet<br />

ist, das schon jetzt durch die Zinserhöhungen<br />

der EZB schlagend wird.<br />

<strong>ECHO</strong>: Der Fremdwährungskredit<br />

war zu Beginn<br />

des Jahrtausends in Tirol sehr<br />

beliebt? Spielt er nach wie vor<br />

eine Rolle?<br />

Schneider: Hier muss man<br />

sagen, dass die Tiroler und die<br />

Banken sehr vorbildlich waren.<br />

Seit der Verschärfung der Richtlinien<br />

zur Vergabe von Fremdwährungskrediten<br />

im Jahr 2008<br />

sind die Ausleihungen von<br />

Schweizer Franken an private<br />

Haushalte bei Tiroler Banken<br />

um 82 Prozent gesunken, in<br />

Österreich waren es im Schnitt<br />

75 Prozent. Damit sind aktuell<br />

in Tirol noch Ausleihungen im<br />

Gegenwert von 700 Millionen<br />

Euro in CHF ausständig, was<br />

aber bei den aktuellen Kursbewegungen<br />

des Frankens auch<br />

sehr schnell zu einer erklecklichen Zunahme<br />

der Schulden führen kann. Diese sind zudem<br />

in der Regel variabel verzinst.<br />

<strong>ECHO</strong>: Wird jungen Menschen durch die<br />

neuen Richtlinien zur Immobilienkreditvergabe<br />

nicht der Erwerb von Eigentum unmöglich<br />

gemacht?<br />

Schneider: Die neuen Richtlinien zielen<br />

nicht auf bestimmte Personengruppen, sondern<br />

dienen aus aufsichtlicher Sicht ausschließlich<br />

der Stabilität des österreichischen Finanzmarktes.<br />

Sie sind gar nicht so neu, weil sie<br />

schon länger von der Aufsicht als Erwartungshaltung<br />

formuliert waren, aber die Banken<br />

wettbewerbsbedingt oft von diesen, bis zuletzt<br />

unverbindlichen, aber erwünschten Standards<br />

abgewichen sind. Daher hat sich die Aufsicht<br />

mit langer Ankündigung dazu entschieden,<br />

diese Anforderungen an Eigenkapital, Laufzeit<br />

und Leistbarkeit zum Einkommen verbindlich<br />

zu machen, aber den Banken gewissen<br />

Spielraum zu lassen. Diese Konkretisierung<br />

war gerade in Anbetracht steigender Zinsen<br />

ein richtiger Schritt zur richtigen Zeit. Nach<br />

meiner persönlichen Meinung ist die Frage<br />

der Leistbarkeit von Eigentum eine rein politische<br />

Frage. Solange Bauland in Tirol gehortet<br />

werden kann und Immobilien bei gleichzeitig<br />

beschränkter Verfügbarkeit eine freie Anlageklasse<br />

darstellen, wird sich an den aktuellen<br />

Rahmenbedingungen kaum etwas ändern. Die<br />

aktuell schwere Kalkulierbarkeit von Projekten<br />

über ein, zwei Jahre erleichtert die Gemengelage<br />

auch nicht.<br />

<strong>ECHO</strong>: Wie bewertet die OeNB die Lage am<br />

Immobilienmarkt?<br />

Schneider: Die OeNB vergleicht in Kooperation<br />

mit der TU Wien quartalsweise die<br />

Wohnimmobilienpreise mit verschiedenen<br />

Faktoren der Angebots- und Nachfrageseite.<br />

Dazu zählen beispielsweise demografische<br />

Faktoren, das allgemeine Wohlstandniveau, institutionelle<br />

Faktoren wie Steuern oder Wohnbauförderung,<br />

Verfügbarkeit von Grund und<br />

Boden, Wohnansprüche, erwartete Erträge aus<br />

Mieten und Zinsen. Sie ist bestrebt, damit zu<br />

erklären, ob Preisentwicklungen fundamental<br />

gerechtfertigt sein können oder auf Übertreibungen<br />

am Markt hinweisen. Bis Mitte <strong>2022</strong><br />

waren im gesamten Bundesgebiet bei Wohnimmobilien<br />

bereits das siebte Quartal in<br />

Folge Preiszuwächse über der Zehn-Prozent-<br />

Marke im Vorjahresvergleich zu verzeichnen,<br />

außerhalb Wiens sind diese Vergleichszahlen<br />

sogar noch etwas höher. Durchschnittlich lagen<br />

diese im zweiten Quartal <strong>2022</strong> bei jeweils<br />

rund 13 Prozent. Damit erreichte das Wachstum<br />

der Wohnimmobilienpreise für Österreich<br />

insgesamt einen neuen Höchststand. Im<br />

Vergleich zu den Fundamentalfaktoren ergibt<br />

sich daraus landesweit eine Überbewertung<br />

von 39 Prozent. Womit die Entwicklung zunehmende<br />

Anzeichen einer Überhitzung des<br />

österreichischen Wohnimmobilienmarktes<br />

aufweist, die gleichzeitig auf stark belastete<br />

Haushaltsbudgets durch die allgemeine Teuerung,<br />

höhere Zinsen und strengere Kreditregeln<br />

trifft. Dieser Mix kann auch Risiken für die<br />

Finanzmarktstabilität bergen.<br />

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<strong>ECHO</strong> TOP 500 UNTERNEHMEN <strong>2022</strong>

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