ECHO Top500 2022
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TOP 500 | INTERVIEW<br />
Realistischer Pessimismus<br />
Interview. Alexander Gessler, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, über die Krise, in die<br />
wir gerade erst hineinschlittern, Inflation und Teuerungen, Probleme, derer sich die<br />
Politik annehmen muss, und Chancen für die Zukunft.<br />
<strong>ECHO</strong>: Wie ist die Stimmung bei den<br />
Unternehmen?<br />
Alexander Gessler: Vorsichtig positiv.<br />
Doch wird mit großer Skepsis auf die<br />
kommenden Monate geblickt. Durch<br />
die Energieteuerungen sind die Unternehmen,<br />
bezogen auf Investitionen und<br />
weitere Planungen, zurückhaltend. Ein<br />
Energiepreisdeckel oder eine ähnliche<br />
Abfederung ist sehr wichtig und würde<br />
für mehr Stabilität in der Wirtschaft<br />
sorgen.<br />
<strong>ECHO</strong>: Wie bewerten Sie die Antiteuerungspakete<br />
der Regierung?<br />
Gessler: Der Klimabonus wird nach<br />
dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet,<br />
doch ist er deshalb nicht schlecht. Es<br />
ist aufgrund des Datenschutzes schwer<br />
zu analysieren, wem ein Klimabonus<br />
ausbezahlt werden soll und wem nicht.<br />
In der derzeitigen Situation würde dies<br />
ebenso Unzufriedenheit in der Bevölkerung<br />
hervorrufen. Zuschüsse für Pensionisten<br />
und Studenten sind gerechtfertigt.<br />
Der Strompreisdeckel, ausgerichtet auf<br />
den durchschnittlichen Verbrauch einer<br />
Familie mit 2.900 kwh, ist sehr sinnvoll.<br />
Jene, die sparen, haben einen Vorteil,<br />
jene, die mehr Strom verbrauchen, bezahlen<br />
dafür. Es wird kritisiert, dass das<br />
Sparen zu wenig gefördert wird, doch<br />
werden die Verbraucher bei den gegebenen<br />
Strompreisen ohnehin sparen.<br />
Die Teuerungsprämie sehe ich positiv.<br />
Auch für Mitarbeiter waren die letzten zwei Jahre<br />
nicht einfach. Sie verdienen diese und freuen<br />
sich sehr über die Anerkennung ihrer Arbeit.<br />
<strong>ECHO</strong>: Angesichts der Energiepreise und des<br />
Klimawandels, wie ist die E-Mobilität und der<br />
Verkehr zu sehen?<br />
Gessler: Lithium stammt zu 70 Prozent aus<br />
China. Durch den alleinigen Fokus auf E-Autos<br />
stürzen wir uns von einer Abhängigkeit in die<br />
nächste. Es stellt sich auch die Frage, wie der benötigte<br />
Strom in Zukunft erzeugt werden soll.<br />
Atomkraftwerke, die Europa überschwemmen,<br />
sind keine Lösung. Eine gewisse Einsparung<br />
wird unumgänglich sein. Wasserstoff in<br />
Kombination mit Solarenergie könnte<br />
eine Option sein. V. a. muss sich die<br />
Politik endlich dem Transportproblem<br />
stellen und dafür sorgen, dass Produkte<br />
nicht mehr in diesem Ausmaß und derart<br />
günstig durch Europa transportiert<br />
werden. Hohe Spritpreise sind eine<br />
Möglichkeit. Sinnvoller wäre eine hohe<br />
Maut, damit nicht die Bevölkerung<br />
Leidtragender der hohen Spritpreise<br />
wird. Es ist ein großes Versagen der<br />
Politik, bei solchen Auswüchsen nicht<br />
regulierend einzugreifen. Für Europa ist<br />
die Krise eine Chance, Abhängigkeiten<br />
zu verringern und selbst innovativ zu<br />
werden. Gerade im Bereich Pharma,<br />
Technik, PC-Chips, Wasserstoff usw.<br />
wäre es von enormer Bedeutung,<br />
Produktionen zurückzuholen. Es sind<br />
investitionsfördernde Anreize nötig,<br />
um Europa bzw. Österreich als Firmenstandort<br />
attraktiv zu machen. In diesem<br />
Zusammenhang wäre es auch wichtig,<br />
rigorose Strafen auf schwere Umweltzerstörungen<br />
zu erheben, damit Unternehmen<br />
nicht in Versuchung kommen,<br />
grob fahrlässig zu handeln.<br />
<strong>ECHO</strong>: Die Abschaffung der kalten<br />
Progression – wie sehen Sie das?<br />
Gessler: Aufgrund der hohen Inflation<br />
ist es wichtiger denn je! Unsere<br />
Steuersätze sind ohnehin schon bei<br />
geringen Einkommen zu hoch. Rückwirkende<br />
Eingriffe ins Steuersystem finde ich<br />
nicht sinnvoll. Es wäre notwendig, den Betrag,<br />
ab dem die Lohnsteuer greift, hinaufzusetzen,<br />
d. h. bis 20.000 Euro Jahreseinkommen im Jahr<br />
keine Lohnsteuer einzuheben, danach die erste<br />
Tarifstufe. Dies würde kleinere Einkommen<br />
entlasten und wäre sehr wichtig.<br />
Fotos: Steinlechner<br />
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<strong>ECHO</strong> TOP 500 UNTERNEHMEN <strong>2022</strong>