Anthroposophie
Anthroposophie
Anthroposophie
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
im Grabe liegt (VV. 17.39), während Steiner von einem "drei-" oder "dreieinhalbtägigen<br />
Einweihungsschlaf' spricht. Die "vier Tage" sind ein deutlicher<br />
Widerspruch gegen heidnische Einweihungsvorstellungen und gegen die<br />
Annahme, Lazarus sei nur scheintot gewesen. 143<br />
Die Gemütsbewegungen Jesu, die der Evangelist besonders hervorhebt und<br />
die im Falle einer "Einweihung" unverständlich blieben, werden sofort<br />
erklärlich, wenn man den Hinweis, daß Jesus Lazarus "liebte", wörtlich<br />
nimmt. Jesus war durch seine Freundschaft (philia; V. 3.11.36) bzw. Liebe<br />
(agapan; vgl. V. 5) mit Lazarus verbunden. 144 Die Klassifizierung des "Liebens"<br />
Jesu als "Mysterienausdruck" hingegen ist eine unbegründete Eintragung<br />
in den Text und raubt der Erzählung darüber hinaus ihre Lebendigkeit<br />
und Wärme. Der Hinweis auf diese Gemütsbewegungen Jesu im Joh betont<br />
zugleich gegenüber einem damals aufkeimenden Doketismus (Kerinth) die<br />
wahre Menschlichkeit Jesu. 145<br />
Das "Ich-bin"-Wort in V. 25 bezieht sich - wie wir in III.B.4. im Blick auf<br />
die "Ich-bin"-Worte grundsätzlich gezeigt haben - nicht auf ein höheres<br />
"Selbst" oder "Ich" des Lazarus, sondern ist Selbstprädikation Jesu als göttlicher<br />
Offenbarer. Nicht der "Gott in Lazarus" wird erweckt, sondern Lazarus<br />
wird durch Gottes Sohn von den Toten auferweckt, der in seiner Person "die<br />
Auferstehung und das Leben" ist. Und nur durch die personale Gemeinschaft<br />
mit Jesus Christus im Glauben bekommt der einzelne an der Auferstehung<br />
und am Leben Anteil (VV. 25f). 146<br />
Der Ruf Jesu "Lazarus, komm heraus! " (V. 43) mit der damit verbundenen<br />
Totenerweckung weist nirgends im Text einen Bezug zu ägyptischen Einweihungsriten<br />
auf. Er stammt hingegen unverkennbar "aus apokalyptischer<br />
Tradition, nach der die Toten in den Gräbern durch die Stimme Gottes oder<br />
eines Engels (vgl. l.Thess 4,16) zum Leben erweckt werden (vgl. Joh 5,28).<br />
In der Apk ist viel von solchen gewaltigen Stimmen oder Rufen die Rede" 147 .<br />
Indem Jesus die allgemeine Totenauferweckung am Ende der Tage - und<br />
auch seine eigene Auferstehung - zeichenhaft 148 an Lazarus vorwegnimmt<br />
(vgl. VV. 24f), wird er "verherrlicht" (V. 4) und im Glauben als der "Messias"<br />
und "Sohn Gottes" erkannt (V. 27).<br />
Das ist für das Joh auch der Grund, warum die Hohenpriester und Pharisäer<br />
Jesu Tod beschließen. Sie sagen: "Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen<br />
wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und es werden die Römer<br />
kommen und nehmen uns Land und Leute" (VV. 47f). Das bedeutet: Die<br />
Hohenpriester und Pharisäer befürchten nach dem Joh, ihre (relative) Vormachtstellung<br />
in Israel zu verlieren, wenn das Volk Jesus zum Messias erhebt<br />
und daraus politische Unruhen erwachsen. Die Darstellung d&s Joh zeigt<br />
hier - mehr als die Synoptiker - einen "politischen Realismus", der mit den<br />
Zuständen in Jerusalem vor 70 n.Chr. vertraut ist: Da die Messiaserwartung<br />
zur Zeit Jesu eine höchst politische Dimension besaß (das Volk erhoffte sich<br />
196