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Anthroposophie

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Mythos ist inzwischen allerdings kein Spezifikum der <strong>Anthroposophie</strong> mehr.<br />

Sie findet sich - das sei hier zumindest angedeutet - auch in neueren theologischen<br />

Entwürfen, etwa im Rahmen einer feministischen Theologie 31 und<br />

einer tiefenpsychologischen Hermeneutik 32 , die ihrerseits wieder anderen Systemen<br />

ihr Ungenügen im Blick auf die "geistige" Dimension der Wirklichkeit<br />

vorwerfen. 33 Die Frage, ob eine solche Rückkehr zum Mythos theologisch<br />

zu rechtfertigen ist und ob die biblischen Schriften als "Einweihungsurkunden<br />

und Meditationstexte" zu verstehen sind, werden wir in Teil III. A. 2 aufgreifen.<br />

3. "Orthodoxe" und "fundamentalistische" Interpretation<br />

Genauso wie gegen eine quellenkritische Auflösung und eine Entmythologisierung<br />

wenden sich die anthroposophischen Ausleger gegen ein "Wörtlichnehmen"<br />

der biblischen Texte. Dieses "Wörtlichnehmen" werfen sie den Vertretern<br />

einer "orthodoxen" und einer "fundamentalistischen" Interpretation<br />

vor. Es sei ein Kennzeichen materialistischen Denkens.<br />

Wie die weitere Darstellung zeigt, wird der Begriff "Orthodoxie" dabei nicht<br />

näher definiert, sondern in einem sehr weiten Sinn gebraucht (Rittelmeyer<br />

z.B. spricht von der "Orthodoxie jeder Färbung"). Doch wird aus der Argumentation<br />

deutlich, daß die anthroposophische Kritik im Grunde die von der<br />

altprotestantischen Orthodoxie betonten und ausgestalteten Lehren von der<br />

Verbalinspiration und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift meint, die bis heute<br />

ihre Vertreter finden. Insbesondere die seit Anfang des 20. Jahrhunderts in<br />

den USA hervorgetretene Bewegung eines protestantischen "Fundamentalismus"<br />

hat diese Lehren neu entfaltet und ihnen in ihren "fundamentals"<br />

eine hervorragende Stellung eingeräumt, wobei diese freilich nicht immer<br />

eindeutig definiert wurden - d. h. auch der sogenannte Fundamentalismus<br />

bildete keine geschlossene Einheit. 34<br />

In einem Vortrag im Jahre 1906 wirft Rudolf Steiner dem "orthodoxen Bibelgläubigen"<br />

(einen konkreten Namen nennt er nicht) vor, daß er die mosaische<br />

Schöpfungsgeschichte - insbesondere den Bericht von den sieben Schöpfungstagen-wörtlich<br />

verstehe, was jedoch falsch sei: Die mosaische Schöpfungsgeschichte<br />

"ist niemals wörtlich zu nehmen. Wir haben es dabei mit<br />

langen, langen Zeiträumen zu tun". Die Auffassung vom Wörtlichnehmen<br />

der sieben Schöpfungstage sei erst zu Beginn der Neuzeit "durch den Materialismus<br />

hereingekommen". Nicht die wörtliche, "materialistische", sondern<br />

die "spirituelle" Auslegung sei jedoch die historisch ursprüngliche gewesen:<br />

"Was früher spirituell aufgefaßt wurde, in das wurde die materialistische<br />

Gesinnung hineingelegt." So ergibt sich für Steiner die paradoxe Situation,<br />

daß eine materialistische "Wissenschaft", nämlich der Darwinismus, und eine<br />

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