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Anthroposophie

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Auch die Bibelübersetzungen, die nach und im Gefolge der Lutherübersetzung<br />

entstanden sind, z.B. auch die von Steiner selber immer wieder benutzte Weizsäckersche<br />

Übersetzung, werden allesamt als "exoterisch" bewertet. So gelangt<br />

Steiner zu der Aussage: "... die Welt hat heute die Bibel nicht!"<br />

(114,231).<br />

Diese Argumentation ist allerdings aus mehreren Gründen unhaltbar: Erstens<br />

handelt es sich bei der Annahme eines hebräischen "Urmatthäus", den<br />

Hieronymus unter Weglassung esoterischer Inhalte ins Griechische übersetzt<br />

habe (so Steiner), um eine reine Spekulation, die an der historischen Wirklichkeit<br />

völlig vorbeigeht. Die neutestamentlichen Schriften wurden alle in<br />

der griechischen Volkssprache der Koine geschrieben und in der einfachen<br />

griechischsprechenden Bevölkerung des Römischen Reiches verbreitet. Es<br />

waren die Gebildeten, die zunächst die ihnen jüdisch- und d.h. "barbarisch"<br />

-erscheinenden Schriften des Urchristentums ablehnten. 5 -Zweitens benutzte<br />

Luther für seine Übersetzung sehr wohl den griechischen Grundtext, der ihm<br />

neben der lateinischen Vulgata in Form des 1519 von Erasmus herausgegebenen<br />

griechischen Neuen Testamentes vorlag. 6 Nach einem "esoterischen<br />

Prinzip" in den Texten suchte er dabei freilich nicht. - Drittens bezogen sich<br />

auch die Vertreter der wissenschaftlichen Theologie im 19. Jahrhundert in<br />

ihren Forschungen selbstverständlich auf den griechischen Grundtext, so daß<br />

die Behauptung, sie seien von der Lutherübersetzung abhängig bzw. die<br />

Bibelkritik sei durch diese gefördert worden, absurd ist.<br />

Durch seine eigene, von Steiners Lehren angeregte Übersetzung des Neuen<br />

Testaments nun will Bock "innerhalb einer modernen Sprache die Geistigkeit<br />

des griechischen Wortlautes mit der ihr eigenen kosmischen Helligkeit und<br />

Weite wieder zum Mitschwingen ... bringen" 7 - und zwar, indem er - wie<br />

der Verlag Urachhaus als Herausgeber des Bockschen "Neuen Testamentes "<br />

anmerkt - "ein freieres Verhältnis zum überlieferten Text" gewinnt 8 .<br />

Als Beispiel aus dieser Übersetzung betrachten wir den Schluß des Johannesprologs<br />

(Jon 1,18):<br />

"Den göttlichen Weltengrund hat nie ein Mensch mit Augen geschaut. Der eingeborene<br />

Sohn, der im Schoß des Weltenvaters war, er ist der Führer zu diesem Schauen geworden."<br />

9<br />

Aus Gott ("theös") wird hier ein "Weltengrund", aus dem Vater ("pater/<br />

patrös") ein "Weltenvater" und aus der Verkündigung ("exegesato") des<br />

Vaters durch den Sohn eine Hinführung zum "Schauen". Hier wird die Übersetzung<br />

offensichtlich durch eine den Wortsinn verfälschende Paraphrase<br />

ersetzt. Der Frage, ob ein solches "freieres Verhältnis zum überlieferten Text"<br />

für die anthroposophische Bibelauslegung allgemein zutrifft, werden wir ausführlicher<br />

in Kapitel II. B. 3 nachgehen.<br />

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