Anthroposophie
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sondern anthropologisch - besser: existential interpretiert werden" 23 , betont<br />
Bultmann.<br />
Damit treten die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur anthroposophischen<br />
Position klar zutage. Gemeinsam geht es der existentialen und der anthroposophischen<br />
Interpretation darum, die "mythischen" Elemente der biblischen<br />
Schriften nicht zu eliminieren, sondern sie zu interpretieren. Das wurde bereits<br />
festgestellt. Doch wie diese Interpretation aussieht, daran scheiden sich die<br />
Geister.<br />
Insbesondere die anthropologische Engführung Bultmanns wird von den Befürwortern<br />
der anthroposophischen Exegese bemängelt. So spricht Gerhard<br />
Wehr von einer "Reduzierung des Kerygma auf den Existenzbezug", die "jede<br />
Frage nach einer 'objektivierbaren' transzendent-geistigen Wirklichkeit oder<br />
Dimension" abschneide. Im Gegensatz dazu gehe es Rudolf Steiner "gerade<br />
um die Erschließung der geistigen Realität und Faktizität", von denen die<br />
Bibel überall dort spreche, wo sie sich "in der Sprache und im Bilde des<br />
Mythos, also metaphorisch" äußere. 24 Wehr zitiert warnend den gegen Bultmann<br />
gerichteten Satz des Theologen Wilhelm Knevels: "Wer den Mythos<br />
existentialisiert, verarmt. " 25 Er verarmt eben deshalb, weil er sich gegen die<br />
im Mythos zur Sprache kommende spirituelle Dimension der Wirklichkeit<br />
verschließt.<br />
Die anthropologische Engfuhrung Bultmanns hängt mit dem materialistischen<br />
Weltbild zusammen, dem er nach dem Urteil der anthroposophischen Exegese<br />
verfallen ist. Einen bekannten Ausspruch Bultmanns 26 aufgreifend, stellt<br />
Rudolf Frieling die Frage, warum eigentlich "Elektrizität und Radio ein Einwand<br />
gegen das Dasein der im Evangelium erwähnten Dämonen" sein sollen.<br />
Frieling äußert die Ansicht, daß Bultmann "völlig im Banne des materialistischen<br />
Weltbildes stehend ... mit gänzlich untauglichen Mitteln" an<br />
die Interpretation der Bibel herangehe. 27 Die Folge davon charakterisiert er<br />
so: "Verschreibt man sich ... dem materialistischen Weltbild, so zerrinnen<br />
die neutestamentlichen Inhalte hoffnungslos." 28 Die "Entmythologisierung",<br />
die Bultmann fordert, käme somit - wie wir auch formulieren können -<br />
letztlich doch einer Eliminiening wesentlicher biblischer Inhalte gleich.<br />
Diese Kritik berührt sich auf den ersten Blick auffallend mit der Kritik konservativer<br />
Theologen - insbesondere aus der lutherischen und pietistischen Tradition-,<br />
die gegenüber dieser anthropologischen Engführung an der Faktizität<br />
und transsubjektiven Wirklichkeit des in der Bibel bezeugten Heilsgeschehens<br />
festhalten. 29 Doch auf den zweiten Blick stellt sich die Frage, ob die theologischen<br />
und die anthroposophischen Kritiker dieselbe transsubjektive Wirklichkeit<br />
meinen. Wie sich in Teil B zeigen wird, ist das nicht der Fall.<br />
Ferner lehnen manche theologischen Kritiker, etwa Walter Künneth, den<br />
Mythosbegriff in bezug auf die biblischen Inhalte ab. 30 Steiner hingegen<br />
möchte an diesem Begriff gerade festhalten (s. o.). Eine solche Rückkehr zum<br />
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