3 - österreichische Gesellschaft für Familienplanung
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Sexualaufklärung <strong>für</strong> Jugendliche wirkt:<br />
Erfahrungen aus Finnland<br />
Dan Apter ist Chefarzt und Direktor<br />
einer Klinik <strong>für</strong> sexuelle Gesundheit,<br />
die vom finnischen Familienverband<br />
Väestöliitto betrieben wird, der wichtigsten<br />
NGO Finnlands im Sozial und<br />
Gesundheitssektor. Seine Vorträge<br />
über die reproduktive Gesundheit in<br />
Finnland leitet Apter gern »mit einem<br />
kleinen historischen Rückblick« ein.<br />
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs<br />
war Finnland »nur eines von vielen<br />
kleinen Ländern, die unter den Nachwirkungen<br />
des Krieges litten. Es war<br />
ein Land mit geringen Verhütungsraten,<br />
in dem Geschlechtskrankheiten alltäglich<br />
waren und Abtreibungen oft mit<br />
dem Tod der Frau endeten.«<br />
Dass Finnland heute, sechs Jahrzehnte<br />
später, ein leuchtendes Vorbild<br />
in Sachen reproduktive Gesundheit<br />
und Aufklärung ist, liegt Apter zufolge<br />
an einer aufgeklärten Politik, der Integration<br />
reproduktiver Gesund heitsthemen<br />
in die allgemeine Schul bildung<br />
und der bewussten Ausrichtung der<br />
Gesundheitsdienste auf die sexuelle<br />
Gesundheit. Eine Entwicklung, zu der<br />
Väestöliitto maßgeblich beigetragen hat.<br />
»1970 wurde Sexualaufklärung zu<br />
einem Pflichtfach an den Schulen<br />
gemacht«, sagt Apter. »Im selben Jahr<br />
wurde ein Abtreibungsgesetz erlassen,<br />
das Abtreibungen aus sozialen und<br />
anderen, von den betroffenen Frauen<br />
als wichtig empfundenen Gründen<br />
legalisierte und die Aufklärung über<br />
Verhütungsmethoden als verbindlichen<br />
Bestandteil des Beratungsprozesses<br />
bei Abtreibungen einführte.«<br />
Mit der Reform der Gesund heitsgesetzgebung<br />
im Jahr 1972 wurden<br />
Kommunen verpflichtet, kostenlose<br />
Beratungen zu Verhütungsmethoden<br />
anzubieten, woraufhin die Abtrei bungsund<br />
Geburtenzahlen nachhaltig zurückgingen.<br />
»Mitte der 1990er Jahre hatte<br />
Finnland im internationalen Vergleich<br />
eine sehr niedrige Abtreibungsquote –<br />
ungefähr zehn Abtreibungen pro 1.000<br />
Schwangerschaften bei 15 bis 19jährigen<br />
Mädchen«, sagt Arten. »Dieser<br />
Erfolg kann als Verdienst des guten<br />
Dienstleistungsangebots sowie der<br />
umfassenden Sexualaufklärung gesehen<br />
werden.«<br />
Als die Gesundheitsversorgung<br />
Mitte der 1990er Jahre dezentralisiert<br />
wurde, verschlechterten sich die Zahlen<br />
wieder. Manche Gemeinde war zu klein,<br />
um alle erforderlichen Dienst leistungen<br />
anzubieten. Auch wurde infolge<br />
einer Wirtschaftskrise und der anschließenden<br />
Kürzungen im Gesundheitsbereich<br />
die Entscheidung getroffen,<br />
die Sexualaufklärung an den Schulen<br />
nicht mehr vorzuschreiben. Bereits<br />
Ende der 1990er Jahre belegten erste<br />
Studien, dass diese Maßnahme »sowohl<br />
qualitativ wie quantitativ zu einer<br />
deutlichen Verschlechterung der<br />
Aufklärung an den Schulen« geführt<br />
hatten. Die Folgen waren nicht zu<br />
übersehen. Apter berichtet: »Die Zahl<br />
der Abtreibungen stieg um 50 Prozent,<br />
ebenso wie der Anteil der Jugendlichen,<br />
die bereits sehr früh, mit 14 oder 15<br />
Jahren, das erste Mal Geschlechtsverkehr<br />
hatten. Gleichzeitig ging die<br />
Verwendung von Verhütungsmitteln<br />
zurück.« Als dann auch noch ein deutlicher<br />
Anstieg der Zahl sexuell übertragbarer<br />
Infektionskrankheiten,<br />
insbesondere mit Chlamydien, festgestellt<br />
wurde, war klar, dass etwas<br />
26 KAPITEL 2: JUGENd: EINE NEUE GLOBALE MACHT VERäNdERT dIE WELT<br />
geschehen musste. »Selbst die finnischen<br />
Politiker erkannten nun, dass sich<br />
die Qualität der Aufklärung an den<br />
Schulen drastisch verschlechtert hatte«,<br />
so Apter.<br />
Bis 2006 wurde ein neuer nationaler<br />
Lehrplan <strong>für</strong> die Gesundheitserziehung<br />
und Sexualkunde mit einem zusätz lichen<br />
Schwerpunkt auf gesunder Leben sführung<br />
formuliert und verbindlich an<br />
den Schulen eingeführt. Der Unterricht<br />
in diesem Fach beginnt in der 7. Klasse<br />
und wird von speziellen Pädagogen<br />
und Lehrern mit einer Zusatzausbildung<br />
gehalten.<br />
»Wie in jedem anderen Fach werden<br />
auch in der Gesundheitserziehung und<br />
Sexualkunde Klausuren geschrieben«,<br />
betont Apter. »Der Unterricht wird bis<br />
zum Abitur oder dem Ende der Berufsfachschule<br />
fortgesetzt und ist Voraussetzung<br />
<strong>für</strong> einen Abschluss.« Mit<br />
Einführung dieser Maßnahmen kehrte<br />
sich der beunruhigende Trend rasch<br />
wieder um. Die Zahl der jungen Menschen,<br />
die sehr früh sexuell aktiv wurden,<br />
ging wieder zurück, berichtet Apter.<br />
Gleichzeitig stieg die Verwendung von<br />
Verhütungsmitteln, und die Abtreibungen<br />
und Geburten unter Teenagern<br />
gingen deutlich zurück.<br />
Neben der Rückkehr zu einer verbindlichen<br />
Sexualaufklärung wurden<br />
an den Schulen zusätzliche Angebote<br />
<strong>für</strong> die reproduktive Gesundheit Heranwachsender<br />
eingeführt. »Schul krankenschwestern<br />
dürfen Schülern heute <strong>für</strong><br />
einen Zeitraum von bis zu drei Monaten<br />
Verhütungsmittel verschreiben«, so<br />
Apter. Außerdem wird von den öffentlichen<br />
Krankenhäusern ein jugendfreundliches<br />
Angebot erwartet. Seit