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3 - österreichische Gesellschaft für Familienplanung

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Einführung mechanischer Webstühle stieg die Stadt zum<br />

»indischen Manchester« auf. Nirgendwo im ganzen Land<br />

gibt es mehr Textilfabriken als hier, und die traditionelle<br />

Arbeit der Bauern, Fischer, Kaufleute und Gewürzhändler<br />

spielt längst nur noch eine untergeordnete Rolle.<br />

Bereits heute arbeiten die meisten Einwohner der<br />

Stadt an den Webstühlen. Weil die Textilfabriken rund<br />

um die Uhr in Betrieb sind und immer neue Arbeits kräfte<br />

brauchen, sind die zahllosen Wanderarbeiter aus anderen<br />

indischen Bundesstaaten längst zu einem festen Bestandteil<br />

der Stadtbevölkerung geworden. Nach wie vor<br />

strömen vor allem junge Männer aus dem armen Norden<br />

Indiens, insbesondere aus Uttar Pradesh, nach Bhiwandi.<br />

Dort schuften sie in Fabriken, in denen man sich ins<br />

England des 19. Jahrhunderts zurückversetzt fühlt.<br />

Bhiwandi könnte ein gutes Beispiel <strong>für</strong> eine ökonomisch<br />

nachhaltige und in sich geschlossene Stadt sein,<br />

wenn die Arbeitsbedingungen in den Fabriken annehmbarer<br />

und gesünder wären. Aber die Jobs sind schmutzig<br />

und gefährlich. In den großen und heruntergekommenen,<br />

mit Webstühlen voll gestellten Hallen herrscht drückende<br />

Hitze. Oft gibt es weder fließendes Wasser noch Toiletten.<br />

Doch die Wanderarbeiter, fast ausschließlich Männer und<br />

Jungen, bleiben oft Jahrzehnte hier. Sie werden praktisch zu<br />

Ortsansässigen, weil das Leben hier immer noch besser ist<br />

als zu Hause. Außerdem sind ihre Familien und Dörfer in<br />

der Ferne auf das Geld angewiesen, das sie ihnen schicken.<br />

In schweißdurchtränkten, ärmellosen T­Shirts und<br />

billigen Hosen, an den Füßen nur Flipflops oder<br />

Sandalen, sitzen sie an den klappernden Webstühlen. Der<br />

Lärm in den Hallen ist ohrenbetäubend, und fast nichts<br />

schützt die Männer vor der rasend schnellen Mechanik<br />

der riesigen Maschinen. Arbeitsunfälle seien an der<br />

Tagesordnung und arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme<br />

weit verbreitet, sagen die Arbeiter: Stromschläge,<br />

Verlet zungen durch die hin und her schießenden Weberschiffchen,<br />

Hautinfektionen und Tuberkulose. In den<br />

fensterlosen Unterkünften schlafen oft bis zu zehn<br />

Arbeiter in Schichten, die sich mit vielen anderen eine<br />

Gemein schaftstoilette und einen Wasserhahn teilen müssen.<br />

t<br />

Narendra Tiwari am Webstuhl in Bhiwandi, Indien. Er ist vor zehn Jahren<br />

eingewandert. Zu Hause ist die ganze Familie von seinem Lohn abhängig.<br />

© Atul Loke/Panos<br />

Die Arbeiter in den Textilfabriken brennen darauf, ihre<br />

Geschichten <strong>für</strong> diesen Bericht zu erzählen. Nagendra Tiwari<br />

ist 42 Jahre alt, kam 1988 nach Bhiwandi und stammt<br />

aus Gorakhpur in Uttar Pradesh. Sein Vater, ein armer<br />

Bauer, hatte kein Geld, um die Aussteuer <strong>für</strong> seine fünf<br />

Töchter zu bezahlen, und so schickte er seinen Sohn – der<br />

selbst eine Frau und vier Kinder hat – zum Geld ver dienen<br />

in den Süden. So konnten seine Schwestern heiraten.<br />

Tiwari, der die Mittelschule abgeschlossen hat und<br />

über Verwaltungserfahrung verfügt, zog von Textilfabrik<br />

zu Textilfabrik, aber die Arbeit war überall sehr schwer.<br />

»Wir arbeiteten in Zwölf­Stunden­Schichten und erhielten<br />

alle 15 Tage unseren Lohn. Arbeitsfreie Tage gab es<br />

nicht.« Bezahlt wurde auf Akkordbasis. Tiwari verdiente<br />

umgerechnet nicht einmal 20 US­Dollar im Monat.<br />

Allein <strong>für</strong> das Zimmer, das er mit drei anderen Männern<br />

teilte, musste er monatlich 250 Rupien bezahlen, etwa<br />

5,60 US­Dollar. Als er endlich einen Arbeitgeber fand,<br />

der ihm erlaubte, die vom örtlichen Büro der Family<br />

Planning Association of India (FPA) jeden Freitagabend<br />

angebotenen Informationsveranstaltungen zur HIV­<br />

Prävention zu besuchen, engagierte er sich mit Feuereifer<br />

<strong>für</strong> eine Safer­Sex­Kampagne. In Bhiwandi, wo viele<br />

Männer ohne ihre Familien leben, floriert die Sexindustrie.<br />

»Ein halbes Jahr lang konnte ich es kaum erwarten,<br />

bis es Freitag war«, erzählt er. »Zu Hause in meinem Dorf<br />

hatte ich einen Cousin an Aids verloren. Ich wollte<br />

zurück kehren und mit den Leuten dort sprechen, die<br />

nichts über Aids wissen.«<br />

WELTBEVÖLKERUNGSBERICHT 2011<br />

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