Der Drachenkampf.pdf - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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Mit der Unterscheidung des Königs und des Gassenjungen haben wir<br />
eine weitere funktionale Äquivalenz des Dioskuren- oder Zwillingsthemas<br />
vor uns, das hier für die Wirklichkeit und Möglichkeit der Vegetation,<br />
des Lebens und der kosmologischen Ordnung steht. <strong>Der</strong> Gestaltwandel<br />
hier entspricht der Nachzeitigkeit des Handelns der Zwillinge<br />
oder der Gleichzeitigkeit der Dioskuren im Toten- und im Lebensreich.<br />
<strong>Der</strong> verschwundene Gassenjunge und die Brautklage entsprechen dem<br />
Aufenthalt des Tammuz bei Allatu und der Klage der Innana.<br />
Nisamis "Leila und Madschnun", Gorganis "Wis und Ramin" und in<br />
dieser Tradition sogar Mohamad Hedschazis "Baba Kubi" oder Shakespeares<br />
Trauerspiel "Romeo und Julia" haben alle ihre literaturgeschichtliche<br />
Vorlage in diesem altorientalischen Motiv der Bräutigamsuche<br />
und Brautklage der großen Göttinnen und auch das Ramayana<br />
gehört zu dem Kreis der dramatisierten Vegetationsmythen.<br />
M. Hermanns hat in seiner großartigen Ausgabe der Kesarsage 31 die<br />
kulturhistorischen Hintergründe und Einflußvarianten ausführlich erörtert<br />
und dargestellt.<br />
In der Herbstmythe gerät die Frau Erde (Bruguma) in die Gewalt der<br />
Wassergeister und des Schnees. Das ist das Bild, dessen sich die altorientalischen<br />
theogonisch-kosmologischen <strong>Drachenkampf</strong>mythen bedienen,<br />
wenn auch die Akzente dort entsprechend verschoben sind. Als<br />
Brautraub wird diese Mythe geschildert und mit der Befreiung der<br />
Braut abgeschlossen. Die Wintermythe zeigt die Personen in folgendem<br />
symbolischen Zusammenhang:<br />
Leben, Vegetationskraft Tod Erde, Vegetaionsstoff<br />
Kesar Byang (Nordriese) Bruguma<br />
König von Hor aBamzu abum skyid<br />
König von China rGya nag, Prinzessin von China<br />
Die Herausforderer sind hier Winterungeheuer, menschenfressende<br />
Riesen und Teufel, die dunklen Mächte also, und die Zuordnung des<br />
Einfalls der Leute von Hor, der Chara Yugur oder der schwarzen Uiguren<br />
und des Kriegs gegen China, dessen König Kesar schließlich<br />
nach Kesars Sieg auch noch seine Tochter zur Frau geben muß, läßt<br />
die Mythe auch als eine Sage mit geschichtlichen Anhaltspunkten begreifen.<br />
Genauso wie in den anderen Mythen geht es aber auch hier in erster<br />
Linie um die Befreiung von der Todesdrohung, um die Erlösung der<br />
31 M.Hermanns, Das Nationalepos der Tibeter Gling König Gesar, Regensburg 1965