Der Drachenkampf.pdf - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien

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6 I Das heutige Drachenbild Der Anblick der Drachenbilder, gezeigt entweder in der Kultsymbolik oder vorgestellt in den Mythen, Märchen und Sagen der Welt, läßt den Betrachter unwillkürlich an Saurier denken, an jene ausgestorbenen Tierarten, die im Kontext der gegenwärtig wieder brisanten Katastrophentheorien der Astronomie und Geologie die Rolle von Kronzeugen übernommen haben, um verschiedenen Theorien (z.B. der Hypothese vom Sonnebegleiter Nemesis, der Theorie von den irregulären Polschwankungen oder von der Explosion einer Supernova 1 ) als Beleg zu dienen. Selbst die biologische Bestimmung dieser Artengruppen ist heute strittig geworden. Galten sie früher unbestritten als Echsen, so gibt es mittlerweile schwerwiegende Einwände gegen diese Auffassung. Nachdem thermische Versuche 2 die Zuordnung der großen Saurier zu den Kaltblütern erheblich in Zweifel gezogen haben, steht neuerdings fest, daß sowohl Dino- als auch Pterosaurier Warmblüter waren, wie die Pseudosuchier auch, von denen beide Typen heute abgeleitet werden. 3 Obwohl die Assoziation der Mythen- und Märchengestalten mit den Sauriern durchaus aktuell zu sein scheint, und auch von Paläontologen, Astronomen und Geologen ständig wachgehalten wird, ist sie keineswegs modern. Schon einige Paläontologen und Biologen der Jahrhundertwende (O.Abel, E.Dacque, W. Bölsche etc.) hatten gegen die Meinung ihrer Zeit die Drachen der Mythologie mit den Sauriern ihres Fachgebietes in Beziehung gebracht und die Behauptung aufgestellt, daß die fühesten Formen des Menschen mit diesen Urwelttieren schon zusammengelebt hätten, und daß deren Erfahrung mythologisch verar- 1 Russel, Tucker, Supernovae and the Extinction of Dinosaurs, Nature,229, 1971, S.553 2 Colbert, Cowles, Bogert, Rates of Temperature Increase in the Dinosaurs, Copeia 1947, S.141-2; und C.M.Bogert, How Reptiles Regulate their Body Temperature, Scientific American 200,4, 1959, S.105-120 3 Bakker, Galton, Dinosaur Monophyly and a New Class of Vertebrates, Nature 248, 1974, S.171
eitet auf uns gekommen wäre. Diese Spekulationen sind auch durch die jüngsten Frühmenschenfunde, welche das Alter des Menschen immer weiter in die Vergangenheit zurück verlegen, noch nicht widerlegt, aber trotz der sensationellen Funde menschlicher Fußabdrücke neben den Abdrücken des Brontosaurus aus der Kreidezeit an der Uferbank des Paluxy-Flusses (Texas) allerdings auch noch nicht zweifelsfrei bestätigt worden. Obwohl also diese Hypothesen aus dem Umfeld der Astrophysik, der Erdgeschichte und der Paläontologie unbedingt anregen, zumal sogar menschliche Fußabdrücke in der Karbonformation gefunden wurden, und die Bedeutung ihrer Klärung nicht hoch genug veranschlagt werden kann, verliert man in ihrem Horizont das mythologische Problem selbst aus dem Auge, das die Drachenmärchen und speziell die Drachenkampfmythen uns stellen, deren Bearbeitung man aber auch nicht allein dem modernen Mythos der Psychoanalyse überlassen sollte. Sowohl die Historisierung der Drachenmythen und Drachenmärchen mit Hinweis auf die Ergebnisse der genannten Naturwissenschaften als auch die Übersetzung ihrer Geschichten in die Schemata der Persönlichkeitsentwicklung verlassen die Ebene von Mythos und Märchen und reduzieren sie auf die Rolle von Beispielen für moderne Paradigmata, die auf ganz anderen Wegen der Erkenntnis gefunden worden sind als auf dem Wege des mythischen Bewußtseins. Es paßte den Psychoanalytikern gut, daß die offizielle Auffassung der Paläontologie über das Alter des Menschen eine Begegnung des Menschen mit den Sauriern ausschloß, so konnten sie schließlich auch das Drachenkampfmotiv als ein rein psychogenes Motiv postulieren. Die Schule von Jung zählt es zu den Archetypen des kollektiven Unbewußtseins. Tiefenpsychologisch steht der Drache für das Streben und die Vitalität, die noch nicht von der Vernunft gezähmt worden sind, für den Kampf mit sich selbst, d.h. mit den eigenen Trieben. Und da der Drache in uns im Verlaufe der Persönlichkeitsentwicklung meistens besiegt wird, repräsentiert der Drachenkampf dann auch einen Übergangsprozeß von einer Entwicklungsstufe zur nächsten, der Sieg dann den erfolgreichen Abschluß einer früheren Entwicklungsstufe und den Eintritt in eine neue. Der Held erscheint als das entwickelte Ich, das endlich die Führung des Verhaltens der Persönlichkeit übernommen hat und die Forderungen seiner Antriebe von dieser Realfunktion (=Ich) her beurteilt, erfüllt, verdrängt oder verweigert. In einer Perspektive, die sich besonders auf die Prägungen in der seelischen Entwicklung der Kindheit bis zur Pubertät konzentriert, wird der Kontra- 7
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