Der Drachenkampf.pdf - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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hilfreichen Tiere an dieses schamanistische Initiationsmythologem<br />
erinnert wird, erfährt es im Kontext des Märchens auch jene Umdeutung,<br />
welche erst ihre Verwendung in ihm erlaubt. Es erläutert hier vor<br />
allem den Sinn der Amputationen (die beiden Enthauptungen und das<br />
Zungenabschneiden). Die Zungen der Drachen werden weniger als Urhebernachweis<br />
des Helden herausgeschnitten, sondern vor allem, um<br />
die Endgültigkeit des Sieges über den Drachen zu versichern, der sich<br />
nur über die Zusammensetzung aller seiner Körperteile wieder regenerieren<br />
kann.<br />
Auch der Held und seine Gefolgschaft können ihre erschöpften Kräfte<br />
nach dem Kampf nicht ohne Schlaf wiederherstellen. Obwohl sie die<br />
große Gefahr siegreich überstanden haben, bringt ihr Sieg sie mit ihrer<br />
Erschöpfung auch selbst in jene Gefahr, die der Usurpator als Gelegenheitsdieb<br />
für sich zu nutzen sucht. Er glaubt sich durch die Enthauptung<br />
des Helden auch von dessem Anspruch auf den Sieg und den<br />
Preis für die Tat entledigen zu können, die er beide betrügerisch für<br />
sich geltend macht.<br />
Die Jungfrau, der Frühling, das Leben, die Fruchtbarkeit, die Geliebte,<br />
die Befreite oder die vom Usurpator zeitweilig Geraubte, wehrt sich<br />
dagegen nach Kräften: die erwachende Vegetation also, das enträtselte<br />
Geheimnis oder die neubegründete genealogische Linie, deren Aufkommen<br />
nach dem Tod des Drachens nicht mehr gehemmt werden<br />
kann. Ihre Aktivitäten oder Befürchtungen korrespondieren mit der<br />
Krise, in der das neue Königtum des Helden über das durch ihn aufgeschlossene<br />
Lebensreich, das der Held durch seinen Sieg erworben hat,<br />
einstweilig infrage gestellt wird. <strong>Der</strong> Held ist ja zeitweilig enthauptet.<br />
Aber die Hilfe seiner Tiere (kosmologische Interaktion) ermöglicht es<br />
ihm, seine Ansprüche trotzdem durchzusetzen. Die hilfreichen Tiere<br />
zeichnen den Helden auch als Jäger (!) aus und die Tiere können sogar<br />
in mancher Motivvariation auch noch Totemgruppen repräsentieren.<br />
Eine ähnliche Hilfeleistung bestimmter Tiere schildert z.B. die Coniraya-<br />
Mythe (Südamerika), die das Thema aber etwas variiert: die zur<br />
Hilfe aufgeforderten Tiere differenzieren sich in hilfsbereite und in die<br />
Hilfe verweigernde Tiere und reflektieren damit die Selektion, die dem<br />
Verhältnis des Helden zur Tierwelt zugrunde liegt.<br />
In der zweiten Episode kehren sich die Vorzeichen, unter denen die<br />
handelnden Personen stehen, um. <strong>Der</strong> rechtmäßige König als wenig<br />
umsichtiger Jäger wird von der Waldhexe verzaubert. Jetzt sind er und<br />
seine Tiere versteinert, tot, und das einzige Band, das ihn noch mit seinem<br />
Leben, seiner Königin und seinem Reich verbindet, ist sein Bru-<br />
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