Der Drachenkampf.pdf - Horst Südkamp - Kulturhistorische Studien
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Linie, dann muß man noch weiter gehen und mit diesem Wechsel der<br />
Filiationsrechnung auch einen Wechsel der Göttergenealogien<br />
verbinden, wozu uns Robert Graves in seiner "Griechischen Mythologie"<br />
und in seiner "Weißen Göttin" förmlich drängt. Die Hirschjagd<br />
beschreibt übrigens den gleichen sozialgeschichtlichen Vorgang. Robert<br />
Graves vermag dieses Mythologem sogar noch mit den Völkerwanderungen<br />
der europäischen Bronzezeit in Verbindung zu bringen,<br />
in denen Völker patrilinearer Filiation (auch ihrer Götter) solche mit<br />
matrilinearer Filiation überschichten, besiegen oder verdrängen.<br />
Das Reh, der Rehbock oder der Hirsch gehören zum verdrängten Kult<br />
und die Versionen der Mythen, in denen der Rehbock erlegt wird oder<br />
der Jäger in Gefahr gerät, zeigen entweder den Sieg über den Totenkult<br />
der großen Mutter und ihrer Söhne (matrilineare Gefolgschaft) oder die<br />
Widerstandskraft ihres Kultes und seiner Gefolgschaft an. Im Zwei-<br />
Brüder-Märchen werden beide Versionen so kombiniert, daß sie auch<br />
der historischen Reihenfolge der Indizien für die bronzezeitlichen<br />
Invasionen entsprechen.<br />
Zwei Geschehenskreise werden in diesem Märchen integriert: In einer<br />
Rahmengeschichte werden der Held und sein Bruder vorgestellt und<br />
ihr Auszug ins Abenteuer begründet, dann wird das Schicksal des<br />
Helden bis zu seiner letzten Not erzählt, das den einen Kreis des Geschehens<br />
darstellt, und mit dem hilfreichen Eingreifen des Bruders, mit<br />
dem Hohelied auf die „Solidarität der Geschwistergruppe“, führt die<br />
Handlung die Episode des gescheiterten Helden, der dank der Hilfe<br />
seines Bruders aus der tödlichen Gefangenschaft entkommen konnte,<br />
in die Rahmenhandlung zurück. Das Ende der Geschichte führt zum<br />
status quo ante ihres Anlasses zurück. Die Gefahren und Prüfungen<br />
wurden von den Ausgesetzten (oder von dem abgepaltenen Verband)<br />
erfolgreich bestanden, das Gleichgewicht, das durch die Ereignisse der<br />
Handlungsbegründung aus den Fugen geriet, war also wiederhergestellt,<br />
die gültige (kosmologische) Ordnung sah sich durch den Verlauf<br />
des Geschehens bestätigt.<br />
Nach der Wiederauffindung der Frühlings- und Wintermythe der<br />
Kesarsage durch A.H.Francke 28 sollen auch hier die beiden Geschehenskreise<br />
des Märchens als Frühlings- und Winterkreis unterschieden<br />
werden, nicht weil wir der naturmythischen oder vegetationsmythischen<br />
Interpretation den Vorzug geben, sondern weil diese<br />
Bilder sich entsprechen und diese Entsprechungen mit anderen Mythen<br />
28 Siehe: A.H.Francke, <strong>Der</strong> Frühlings- und Wintermythus in der Kesarsage, 1902<br />
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